INDEX

DER AUTOR BEI DER ARBEIT

Wie Autoren arbeiten, wann sie arbeiten, wie sie mit Schreibblockaden umgehen, darüber könnte man Bände füllen, denn von hunderten von Erfahrungen wird sich kaum eine mit der anderen decken. Ein Drehbuchautor ist, genauso wie der Tischler oder Elektriker, nichts anderes als ein Handwerker. Mit dem einzigen Unterschied, daß das fertige Produkt eines jeden anderen Handwerks sich auf eine methodisch begrenzte Art und Weise herstellen läßt, während es beim Verfassen von Texten keine Methode schlechthin gibt. Da Schreiben letztendlich eine sehr intime und einsame Sache ist, hüllt sich so mancher nach der Frage wie dieser Prozeß vor sich geht, in Schweigen. Es ist nicht einmal falsch verstandenes Berufsethos, das eine nähere Untersuchung über die Arbeitsweisen von Autoren schwierig macht, sondern die Auseinandersetzung der Schriftsteller, die das Schreiben ja nicht nur um des Schreibens willen, sondern auch wegen des Alleinsein, der Abgeschlossenheit, der Ausgrenzung der Umwelt lieben. Es gibt Vormittag-, Nachmittag- und Nachtschreiber, Handkritzler, Maschinen- und Computertipper. Ihnen allen gemeinsam ist der Urzustand, der Anfang: ein weißes Blatt Papier.

Die Konstruktion der Geschichte


Seit es Langfilme gibt, ist das dreiaktige Drama zur beinah verpflichtenden Vorlage für Generationen von Filmautoren und Regisseuren geworden. Billy Wilder hielt von jeher Theaterstücke geeigneter als Romane für Filmstoffe. Besondere Betonung legte Wilder auf den second act curtain, also das Ende des zweiten Akts, wo noch einmal eine überraschende Wendung stattfinden muß, die das letzte Drittel des Filmes transportiert. Am Beginn des dritten Akts kann die Spannung wieder hinunter gehen, dann hat man Platz für Episches und Lyrisches, allerdings nicht zu viel, "sonst dauert die Geschichte, die du erzählen willst, drei Wochen. Man muß vereinfachen, um es in den Griff zu kriegen. Man muß ein bißchen übertreiben, um etwas klar zu machen." (Wilder)
1

In den letzten Jahren sind Autoren, Dramaturgen und Script Consultants nur so aus dem Boden geschossen, mit ihnen eine ganze Reihe von Drehbuchtheorien. Die populärste ist immer noch die von Syd Field, der schon vor fast zwei Jahrzehnten mit seinem Paradigma der plot points einer ganzen Generation angehender Autoren die Struktur vorgegeben hat. Für viele mag das geradlinige Field’sche Diagramm zum Dogma geworden sein:

_______
|____________________________________|________________

1.Akt       Plot point 1             2.Akt                         Plot point 2      3.Akt


In Wirklichkeit ist diese Technik des dreiaktigen Dramas mindestens ebenso alt wie die Regel des "Goldenen Schnitts" in den bildnerischen Künsten. Im deutschen Sprachraum ist dasselbe System mit fünf Akten mit einer Peripetie vor dem Schlußakt bereits Ende des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Schriftsteller Gustav Freytag formuliert worden.

Weit komplexer als das Field’sche Paradigma funktioniert die Drehbuchtheorie von Christopher Vogler.

kreis.jpg (32410 Byte)

Voglers Modell hat eine gewisse Popularisierung durchlaufen, vielleicht auch durch die Modernität archaischer Erklärungsmodelle. Inzwischen haben amerikanische Studios sogar schon ‚Myth Consultants‘, die für Filme Mythen suchen und entwickeln. Das kann bei Fantasy-Geschichten oder Abenteuergeschichten bestens funktionieren, Melodramen oder Komödien lassen sich nach dem "runden" Strickmuster allerdings nicht so beliebig herstellen. Vogler betont sogar selbst, daß eine sklavische Orientierung an seinem System noch keinen guten Film bedeuten muß. Am besten ist immer noch die Intuition – und so werden wohl auch die Autoren des Gilgamesch-Mythos vorgegangen sein, und erst danach die Referenz mit dramaturgischen Modellen des alten Mesopotamien gesucht haben.

 


Nutzt das Wissen um Dramaturgie?

Während der Interviews tauchte immer wieder die Frage auf, inwieweit das Wissen um Dramaturgie dem Autor beim Schreiben der Geschichte nützen kann. Fritz Lehner antwortete, daß man nie genug über Dramaturgie wissen kann: "Wenn ich noch mehr weiß über Dramaturgie, fallen mir erstens noch mehr Geschichten ein, die sich dadurch eröffnen, und ich kann das, was ich an Geschichten erzählen möchte, besser erzählen." Einig ist er sich, mit allen anderen Befragten, daß Intuition mindestens ebenso wichtig ist. Und Erfahrung. Ob Erfahrung mit dem Wissen um Dramaturgie gleichzusetzen ist, soll vorerst dahingestellt bleiben, nachdem sogar der Autor des "Bergdoktors", Robert Thayenthal sagt, daß man Qualität nicht mit dem ersten Buch schafft: "Das ist ein langwieriger Schreibprozeß. Ich bin jetzt seit einigen Jahren recht gut im Geschäft, und ich habe das Gefühl, ich fange immer wieder von vorne an und muß immer wieder neue Schritte machen. Immer wieder habe ich das Gefühl, daß es mir wie Schuppen von den Augen fällt, welchen Blödsinn ich davor gemacht habe, um den Blödsinn - in anderer Form - wieder zu machen."2 Patrick Süskind geht in seinem Bericht über die Entstehung des Drehbuchs von Rossini (Co-Autor & Regisseur war Helmut Dietl) noch weiter, daß nämlich Drehbuchschreiben gar kein erlernbares Handwerk sei: "Es gleicht eher einer amateurhaften Herumbastelei nach der Versuch-und-Irrtum-Methode. Erfahrung nützt nichts. Erfahrung ist sogar hinderlich, denn sie macht skeptisch, vorsichtig, überängstlich,

und hätte den geringen Elan, den wir in unserem Alter noch besitzen, zu völligem Stillstand herabgemindert, wenn da nicht zugleich jene andere Erfahrung gewesen wäre, die uns sagte: ‚Es ist normal, daß man beim Drehbuchschreiben immer wieder vor Scherbenhaufen steht, das haben wir schon öfter erlebt, und trotzdem ist es uns meistens (nicht immer!) doch noch gelungen, etwas Passables zustande zu bringen."3 "Der Lehrer des Menschen heißt Irrtum", hat William Faulkner über das Schreibhandwerk gesagt: "Wen technische Probleme interessieren, der sollte lieber Chirurg werden oder Maurer."4

Das Herumbasteln als Junger ist umso besser, je mehr Filme aus den Drehbüchern entstehen. Wer sie selber machen kann, hat es ungleich einfacher. Die 30jährige Barbara Albert hat in ihren Kurzfilmen auf der Filmakademie ungewöhnliche Erzählarten, Dialoge, Stimmungen und und deren Wirkung auf das Publikum ausprobieren können: "Ich habe schon gemerkt, welche Dialoge nicht so gut funktionieren oder zu ausgesprochen sind, wo zu viel erzählt wird in den Dialogen."

Niemand der in dieser Arbeit befragten Autoren gab an, nach einem bestimmten Konzept in Hinblick auf dramaturgische Regeln zu schreiben: "Wichtig ist, daß man sich an die Regeln nicht sklavisch hält, sondern sie andauernd bricht.", sagt Fritz Lehner, "nicht aus Trotz, sondern um weiterzukommen."

Natürlich gibt es auch Autoren, unter ihnen viele Profis, die von vornherein Lehren und Lehrbücher zurückweisen und vorhandene Erzählstrukturen ignorieren. Dennoch müssen auch diese Autoren mit der Tatsache leben, daß das Publikum eben tradierte Erzählformen und deren Erfüllung erwartet. Um ein größeres Publikum anzusprechen, ist ein gewisses Maß an Form unverzichtbar.

 

 

Den Anfang finden

Niemand setzt sich an einen Schreibtisch und schreibt ein Drehbuch von 100 oder mehr Seiten in einem Zug herunter. Wie wir bereits wissen entstehen Stoffe oft sehr langsam und durch Zufälle. Bis es zum Schreiben kommt, werden Ideen gesammelt, Notizen gemacht, verworfen, geordnet, oft über eine derart lange Zeitspanne, sodaß sich der Schreibprozeß am Drehbuch vergleichsweise kurz ausnimmt.

Die größte Schwierigkeit besteht für die meisten Autoren in der Tatsache, daß sie irgendwann einmal anfangen müssen. Und dieses Problem stellt sich jeden Tag neu. Da Schreiben eine individuelle Tätigkeit ist, gibt es niemanden, der sagt "Jetzt fang an!", gibt es keine Stechuhr, keinen Stundenlohn. Die Versuchung, einen Tag nicht zu schreiben ist also relativ groß. Wer gerne Opfer seines schwachen Willens ist, sollte besser die Finger vom Schreiben lassen. Die tägliche Praxis ist tatsächlich der einzige Weg dranzubleiben. Es ist nicht einfach nur ein Trick, sondern Teil des Arbeitsprozesses, am Beginn das am Tag zuvor Geschriebene durchzulesen, Korrekturen vorzunehmen und dann einfach anzuschließen. Fritz Lehner, der sich beim Schreiben soweit abschließt, daß er das Telefon abstellt und sogar im Sommer die Rollos herunterläßt, muß sich trotz der täglichen Schreibpraxis jedesmal neu motivieren: "Und dabei hilft mir schon eine Fülle von banalen Dingen, das eigenartige Klappern der Tastatur, deren angenehmes Gefühl auf den Fingern ..., und auch der Füller. Oder auch, wann ich eine Zigarette anzünde und wie ich sie anzünde." Haptische Dinge, die in den Arbeitsprozeß hineinführen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Anstoß durch mechanisiertes Schreibens. W.Somerset Maugham wurde einmal gefragt, was er tut, wenn er morgens am Schreibtisch sitze und ihm nichts einfalle. Er antwortete: "In diesem Fall setze ich mich hin und schreibe ‘W.Somerset Maugham‘, ,W.Somerset Maugham‘, ‚W.Somerset Maugham‘, ..., bis mir etwas einfällt, und das tut es immer."5 Angesichts einer unglaublichen Anzahl an Romanen, muß man ihm glauben. Maugham erzählte übrigens, daß er nie mehr als vier Stunden am Tag schreibe. Fügte aber gleich hinzu: "... aber auch nie weniger."

Es ist speziell für Drehbuchautoren interessant, wie verschieden belastbar sie für unterschiedliche Tätigkeiten sind. Das Reizvollste ist natürlich das Niederschreiben von soeben aufgespürten, neuen Ideen, das Unangenehmste und Zeitaufwendigste ist das Überarbeitungen von fertiggestellten Elaboraten. Es dürfte kaum einen Autor geben, der nicht Papier und Stift ständig bei sich trägt. Manche Dinge müssen sofort eingefangen werden. Leider ist oft (oder fast immer) die Situation nicht danach, etwas aufzuschreiben. Das Aufschreiben von Ursituationen ist ein kreatives Schöpfungsmoment, das den Autor so sehr in Anspruch nehmen sollte, jede unangenehme Begleitsituation zugunsten einer schriftlichen Erfassung zur Seite zu schieben. Autoren wie Walter Reisch scheinen sogar eine belebte Umwelt beim Schreiben gebraucht zu haben: "Ich habe in der Garderobe gearbeitet, im Badezimmer, im Restaurant. Je mehr Menschen, je mehr Störungen, je mehr Lärm, desto besser."6

Anders verhält es sich bei Überarbeitungen. Auch die müssen manchmal in Eile vorgenommen werden, was zu Streß führen kann, der nicht zwingend konstruktiv sein muß. Interessant ist die unterschiedliche Belastbarkeit, die Walter Wippersberg in seinem Interview mit Ivo Schneider schildert: "Bei neuen Geschichten hat sich mein Arbeitspensum so auf zwei mal drei Stunden pro Tag eingependelt. Danach bin ich auch erschöpft. Ich kann dann nicht mehr. Ganz was anderes ist das, wenn ich etwas überarbeite. Da kann ich ohne Probleme auch zwölf Stunden arbeiten."7

 


Graphische Konzepte

Um eine Geschichte zu bauen, zu konstruieren, Ideen eine Form zu geben, wird nicht selten ein Konstruktionsplan entworfen, der eine gewisse Parallele zur Architektur vermuten lassen könnte.

Egal, ob hier mit geradlinigen Diagrammen, also dem Filmverlauf von links nach rechts oder mit einem Kreis gearbeitet wird, das zentrale Moment dieser Graphiken sind die

Figuren. Es hat sich bewährt, noch vor dem eigentlichen Schreiben ein "Figurengeflecht" zu entwerfen, das heißt, die Beziehungen zwischen den Charakteren durch Linien darzustellen und sich so klarer über deren Motive zu werden. Nicht selten kommt man bei diesem Vorgang drauf, daß man auf die eine oder andere Figur verzichten könnte. Auch Barbara Albert hat bei "Nordrand" Pläne anfertigt. "Ich habe die Geschichte verschachtelt, die Geschichte auf große Plakate aufgeschrieben, jede Figur hat eine Farbe bekommen, und ich hab mir angeschaut: wann kommen die vor? Wann begegnen sie sich wieder? Wie oft kommen sie vor? etc." Hat man einmal den Überblick, schränkt die Autorin und Regisseurin ein, ist die Verführung groß, das Gefinkelte noch gefinkelter zu machen. Die Folge: der Zuschauer kommt aufgrund der vielen Verflechtungen einfach nicht mehr mit. Zusammenhänge und Zufälle scheinen - im wahrsten Sinne des Wortes - konstruiert. So sollten wir bei graphischen Konzepten eher von Kompositionen als Konstruktionen sprechen.

Es scheint so zu sein, daß jeder Autor die für ihn geeignetste Methode immer wieder neu erfinden muß. Daß das visuelle Element aber beim Schreiben durchaus wichtig ist, zeigt die Arbeitsmethode von Helmut Zenker: "Ich lege mir Kästchen zurecht, in die ich hineinschreibe wofür eine Figur steht. (...) Bei Nebenfiguren mache ich das nicht, versuche aber auch, daß sie nicht nur Karikaturen bleiben. Es sind nicht sehr viele Eigenschaften, die ich da in dieses Kästchen hineinschreibe, aber ich mache mir auch immer eine kleine Zeichnung, obwohl ich nicht zeichnen kann, um mir vorstellen zu können, wie die Figur aussieht. Die Charaktereigenschaften weiß ich natürlich auswendig, aber für so ein paar Äußerlichkeiten ist der Zettel recht angenehm."8

 

Es ist erwähnenswert, daß graphische Konzepte zumeist in der Früh- oder in der Spätphase des Schreibens eingesetzt werden, während des Schreibens am Drehbuch eher selten. Das macht deshalb Sinn, da man ja zu Beginn unmöglich alle Einzelheiten der Geschichte kennen kann. Ein erstes Figurengeflecht schafft einen Einstieg in die Geschichte, ist durchaus geeignet, Vorbereitung für ein Exposé zu sein. Auch ist es sinnvoll, zwischen Exposé und Treatment eine Auflistung von vorhandenen und möglichen Szenen zu schreiben. Gewarnt sei in dieser Phase allerdings vor einem Konzept, an das man sich in den nächsten Wochen sklavisch zu halten gedenkt. Unter Umständen verbringt man zu viel Zeit mit dem Gedanken, wie man die zwangsläufig weiß bleibenden Flächen füllen kann, statt mit dem Schreiben zu beginnen und aus der Geschichte, dem eigenen Erzählen, zu schöpfen.

Sehr viel zweckvoller ist ein Filmablauf-Plan, wenn man eine erste Drehbuchfassung einmal beendet und noch einige Tage für Korrekturen hat. Erstens einmal kann man mit dem Drehbuch in der Hand das Diagramm mühelos in kürzester Zeit erstellen und sich anhand dieses "Fahrplans" genau orientieren, welche Figuren wann auftauchen, ob es eine Akteinteilung gibt, wann die verschiedenen Akte beginnen und enden, etc. Wer auf Syd Field steht, kann hier genau überprüfen, ob die Plot points richtig gesetzt wurden. Krimiautoren mit möglichst blutrünstigen Handlungen werden so feststellen, wieviel Personen noch übrig sind, beziehungsweise eine gewisse Rhythmik der Morde einbringen können.

Interessant wäre ein Vergleich von Skizzen, wie sie Drehbuchautoren und Romanciers anfertigen. Heimito von Doderer war zum Beispiel ein manischer Skizzenzeichner. Er verbreitete in den literarischen Zirkeln auch mit einem gewissen Stolz, wie genau seine "Kompositionen" waren und war der Ansicht, daß die Musik der Literatur in bezug auf Kompositionstechnik viel voraus habe. Dementsprechend verwendete er in seinen Skizzen Begriffe aus der Musik: "Vortakte", "Ouvertüre", "breve", verschiedene Tempobezeichnungen, usw.9 Die graphische Gestaltung variierte, es gab waagrechte Skizzen und Verläufe, genauso wie kreisförmige Modelle. Den Kreis, den er für "Die Strudlhofstiege" anfertigte, nannte er den "großen Stern". In dessen Zentrum steht ein Datum: "21.Sept. 1925 nachmittags", rundherum ordnete er die Figuren und ihre

Schicksale an. Doderer lag daran, die synchronen Vorgänge rund um das Ereignis zu konstruieren. Das Datum bezeichnet den Zeitpunkt, an dem Mary K. durch einen Straßenbahnunfall das rechte Bein abgetrennt wird. Die Zentralchiffre für Doderer lautete "RP", der "Reifepunkt", jener Zeitpunkt, zu dem dem Leser ohne Erläuterungen des Autors die inhaltlichen Zusammenhänge schlagartig bewußt werden.

 

Schreiballtag


Was auf die guten Ideen und Schöpfungsmomente zutrifft, gilt auch für die Arbeitszeit. Man kann nie wissen, wie lange und wie gut man schreibt. Natürlich gibt es Vorlieben und auch eine gewisse Regelmäßigkeit während des Arbeitsprozesses. Fritz Lehner zum Beispiel hat um 14 Uhr Arbeitsbeginn, quasi eine disziplinarische Vorgabe, ebenso wie das zu erreichende Pensum "an diesem Tag an die 30 Karteikarten oder sechs Drehbuchseiten" zu schreiben. Ganz egal, wie lange es dauert. Daß es dabei oft weit in die Nacht geht, spielt keine Rolle. Nächtliche Arbeitszeit ist typisch für Schriftsteller, vor allem für junge, auch körperlich noch unverbrauchte Autoren. Andere bleiben dabei. Felix Mitterer: "Ich kann wunderbar in der Nacht arbeiten. Ab Mitternacht geht’s so richtig los, da bin ich drin. Ich drück mich lang davor (...) und dann geh ich halt um acht Uhr früh schlafen."
10 Nicht so gesund klingt der Rhythmus von Helmut Zenker: "Manchmal arbeite ich vielleicht 20 Stunden und dann wieder nur 5 oder eben überhaupt nicht. Ich schlafe auch nur jede zweite Nacht." Eine Belastung auch für den vom Schreiben beanspruchten Finger: "Ich schreibe auf der Maschine nur mit einem einzigen Finger. Der Finger ist hin, nur vom Schreiben."11

Recht ungewöhnlich ist die zeitliche Abstimmung bei Barbara Albert. Nach eigener Aussage kann sie abends oder nachts überhaupt nicht schreiben, aber unter Druck "stehe ich um vier Uhr in der Früh auf und schreibe dann. Das ist meine Zeit." Das Gefühl, während die Welt schläft, im wachen Zustand die eigenen Geschichten zu erzählen, wirkt vielleicht wie ein Katalysator auf den kreativen Output. Konzentration durch Isolation. Wehe dem, der eine Familie hat, die das nicht akzeptiert. Und seien wir uns ehrlich: Ist es nicht tatsächlich schwer hinzunehmen, daß jemand Tage und Nächte in vollkommener Abgeschlossenheit schreibt und unter Tags in erschöpfenden Schlaf fällt. Eine Arbeit, die die Stellungnahmen von Autoren-Ehefrauen und Männern untersucht, muß erst noch geschrieben werden...



Vom Exposé zum Drehbuch

 

Fritz Lehner verbringt für Recherchen, Vorbereitungsarbeiten und Skizzen ungleich mehr Zeit als fürs Schreiben selbst. "Ziel ist, bevor ich auch nur die erste Zeile schreibe, den Film so genau vor mir zu sehen, daß ich das Drehbuch nicht eigentlich schreibe, sondern ein Filmprotokoll verfasse. Ich habe alles fertig, bis auf den Dialog." Den Dialog klammert er bei der Vorbereitung bewußt aus, "weil sonst das Schreiben des Drehbuchs tödlich langweilig wäre." Lehner benützt exzessiv Karteikarten, bei jedem Drehbuch sind es tausende. Während andere Autoren für ein 90-Minuten-Drehbuch vielleicht 100 bis 200 Karten benötigen, meist eine für jede Szene, hat Lehner bis zu 10.000 Karteikarten, auf denen kleine Details, die weit in die Regiearbeit und auch darüber hinaus reichen, vermerkt sind.

"Ich schreib kein Exposé oder Treatment. Ich kann das nicht. Ich erzähl‘ das den Leuten.", sagt Felix Mitterer. "Die vom Fernsehen haben es schon längst aufgegeben, von mir ein Treatment zu verlangen." Dennoch wollen Sender und Produzenten, bevor noch irgendetwas geht, ein anständiges Treatment in die Hand bekommen. Treatments sind aber generell unbeliebt bei Autoren. Noch einmal Mitterer: "Wenn jemand auf ein Treatment besteht, dann schreib ich gleich das Drehbuch. Ich kann es einfach nicht. (...) Das entwickelt sich doch erst beim Schreiben." Im Treatment hat man klar darzulegen, wie Szene 1 bis 100 auszusehen haben, darf sich aber nicht die Freude nehmen, den Dialog zu schreiben. Walter Wippersberg findet einen Treatment-Auftrag schlichtweg "unfair, weil du leistest die ganze Arbeit, und sie zahlen dir 35.000,- Schilling. (...) Ich hasse es. Wenn mir die Szene einfällt, dann schreib ich sie lieber gleich ganz hin." Wie ein Treatment genau auszusehen hat, weiß eigentlich niemand. Es können etwas umfangreichere Exposés von 15 Seiten oder ausladende Bildbeschreibungen von 100 Seiten sein. Thomas Baum legt etwa 30 Seiten vor und befindet ebenso, daß "das Spannende oder, besser, das Dilemma ist, daß das Treatment die Hauptarbeit darstellt. Man muß jede Szene genau überdenken und bauen. Wenn das Treatment funktioniert, funktioniert auch das Drehbuch."12

Warum die Nachfrage nach Treatments so groß ist, ist vor allem den Autoren schleierhaft. Was sich nicht gut schreibt, liest sich doch auch nicht gut! Das Treatment ist für Autoren einerseits ein reines Geschäftspapier, indem es den Filmstoff bestmöglich verkauft, zum anderen vielleicht eine Hilfe, sich die eine oder andere Drehbuchfassung zu ersparen. Erfolgreiche Autoren wie Mitterer oder Fritz Lehner schreiben ohnehin nicht mehr als zwei Drehbuchfassungen, Ernst Hinterberger schreibt für eine Folge des "Kaisermühlen-Blues" ein Treatment an einem Wochenende und ergänzt später die Dialoge dazu – Erstfassung und fertig: "Ich bin der Meinung, man muß Drehbücher schnell schreiben. Bei einem Roman kann man überarbeiten und ändern, aber wenn das einer bei einem Drehbuch macht, wird er normalerweise nie fertig."

Viele Autoren haben Schwierigkeiten während der Arbeit am zweiten Akt; und das kommt nicht von ungefähr. Zu Beginn steckt man alles hinein, kann ein ganzes Feuerwerk von Einfällen einbringen, und kommt irgendwann darauf, daß einem die Luft ausgeht. Das, was am Anfang so viel versprochen hat, ist zu einer undramatischen, langweiligen Sauce geworden. Sieht man sich Voglers "Kreis" an, erkennt man auch, warum das so ist: Der erste Akt enthält schon viel mehr dramatische Unterteilungen als alle weiteren Akte, zudem schafft man sich (meist zuviel) Platz, um die Figuren zu etablieren. Die wahre Kunst des Schreibens eines Drehbuchs ist aber der "lange Atem". Selbst der amerikanische Drehbuchautor Dean Devlin (Co-Autor von Filmen wie Independence Day, Stargate und Universal Soldier) ist nie vor einer Schreibblockade sicher: "Mich erwischt es meistens vor dem Ende des zweiten Akts. Man ist zu fast zwei Drittel fertig und plötzlich hat man das Gefühl, es funktioniert nicht. Um dem abzuhelfen, mache ich zwei Dinge. Erstens beende ich nie eine Szene oder einen Dialog, bevor ich an einem Tag aufhöre zu schreiben, sondern hebe mir etwas für den nächsten Tag auf. Das ist gut, sonst sitze ich am nächsten Morgen da und zerbreche mir gleich zu Beginn den Kopf, was wohl als nächstes kommt. Das Zweite ist, daß ich zurück zum Mid Point gehe und versuche, die Geschichte bis zum Anfang des dritten Akts neu zu strukturieren. Entweder komme ich auf eine bessere Lösung oder erkenne, daß mein ursprünglicher Weg gar nicht so schlecht war."13

 

Ist das Drehbuch einmal fertig, werden von jungen Autoren meist noch viel mehr Überarbeitungen verlangt – sieben, acht Fassungen sind keine Seltenheit. Drehbuchsitzungen mit Redakteuren bedeuten meist die Forderung nach einer neuen Fassung, mit weiteren Terminen, neuen Sitzungen, und neuen, immer knapperen Deadlines bis Drehbeginn. Gerade für junge Autoren eine Belastung, die – weil sie auch nicht mehr beurteilen können, welche Fassung nun die beste war – auch nicht förderlich für die Produktion des Filmes ist. Die Erstfassung von "Nordrand" beinhaltet fast wortgetreu die Dialoge, die dann auch im Film zu hören sind. Mit dieser soliden ersten Fassung konnte Barbara Albert schließlich in weiteren Fassungen (sie spricht von acht bis zehn) leicht an der Struktur der Geschichte basteln, wobei manche Änderungen auf Kürzungsforderungen und Anpassung an finanzielle Einschränkungen zurückzuführen waren.

 

 

Stimulantia

Es ist eine alte Frage, inwieweit Stimulantia, also Drogen wie Alkohol den Schriftsteller aktivieren, mobilisieren oder einschläfern können. Unter den von mir Befragten konnte oder wollte keiner bekennen, ab und zu nicht nüchtern zu arbeiten. Nur Fritz Lehner gab Auskunft, daß er sich beim Sammeln von Ideen durchaus "in Verbindung mit In-der-Nacht-unterwegs-sein und etwas trinken", Ideen notiert. Helmut Zenker wiederum schreibt nie ohne Alkohol, es würde ihm sonst auch gar keinen Spaß machen, schränkt aber ein, daß man ab einem gewissen Zeitpunkt zur Selbstkritik nicht mehr fähig ist.14

Ein notorischer Trinker soll Luis Buñuel gewesen sein. Er schwörte auf einen Aperitif, dem er, vor allem wenn er an Drehbüchern arbeitete, täglich zusprach, vorzugsweise abends gegen sieben. Dieses Getränk bestand zum größten Teil aus Gin, einigen Tropfen Wermuth der Marke Noilly-Prat, einem halben Teelöffel Angistura und hartem Eis. Buñuel glaubte an die Zauberkraft dieses Cocktails, der ihn schlagartig in einen meditativen Trancezustand versetzte und ihm die entscheidenden Inspirationen für den Fortgang seiner Arbeit bescherte.15


Natürlich sind Drogenerfahrungen von Künstlern auch ein bißchen in die verklärte

Sagenwelt über die Entstehung von Kunstwerken einzuordnen. Es liegt in der Natur des Alkohols, daß vermehrter Konsum zu Trägheit führt, die Gedanken mehr und mehr zu Banalität und Lächerlichkeit neigen. Wer nach einigem Genuß Sprachschwierigkeiten hat, wird diese auch beim Schreiben haben. Ohne Frage gibt es von Aspirin bis Kokain noch viele andere Drogen, die zumindest einen wacheren Geisteszustand hervorrufen, aber sie führen bestenfalls dazu, daß jemand länger, aber nicht besser schreibt.

Menschen, die wirklich viel schreiben, haben, um Genuß auch wirklich auskosten zu können, zu wenig Zeit, zu wenig Geld oder beides. Bescheidene Freuden braucht der Schreiber aber. William Faulkner grenzte es konkret ein: "Was zur Produktion meines Einmannbetriebs vonnöten ist, läßt sich mit ein paar Worten aufzählen. Ich brauche: Papier, Tabak, Essen und ein bißchen Whisky."
16


Unter Stimulantia fällt auch Musik, die Autoren zu bestimmten Zeiten hören, die sie ins Schreiben hineinbringt bzw. die während des Schreibens etwas von der gewünschten Atmosphäre des Films herstellt. Alan Ball, der Autor von American Beauty, macht zwischen der Arbeit am Drehbuch selbst Musik bzw. nimmt Kassetten auf, deren Musik auf das Projekt zugeschnitten ist und ihn bei der Arbeit unterstützt. 17

 

Schreiben von Komödien

 

Gerade die Leichtigkeit und Heiterkeit, die gute Komödien ausmachen, gehören zum schwierigsten, das ein Autor zustande bringen kann. Um nicht ins Fahrwasser der Langeweile oder des Unwitzes zu gelangen, muß man ständig Situationen schaffen, die Lacher hervorbringen. Billy Wilder hat dies mit dem Begriff des "Schneeballeffekts" zusammengefaßt: "Ich mag nicht, wenn es nur alle fünf Minuten einmal einen Lacher gibt. Es darf keine Pausen geben. Es muß wie ein Schneeball sein."18

Hier will ich (wieder einmal) kurz eine persönliche Einschätzung einbringen. Es reicht längst nicht, das Drehbuch mit feed lines und punch lines anzufüllen, eine reine Anhäufung von Pointen macht noch keine Komödie aus. Das Schaffen der Situationen, die Komik erzeugen, ist auch gar nicht so schwierig, die Pointe auf den Punkt zu bringen, ist die wirkliche Kunst (vor allem für den, der sie inszeniert).

Probleme stellen sich zum Beispiel, indem man versucht, jede Szene mit einem Lacher abzuschließen. Das funktioniert im Kabarett, ist aber im Film manchmal bremsend, weil bei jeder Szene neu angehoben werden muß. Das mußten sich auch die beiden Autoren von "Rossini", Helmut Dietl und Patrick Süskind, nach 70 Seiten Treatment eingestehen: "Unser Konvolut ist von trostloser Langeweile und gespickt mit den primitivsten Anfängerfehlern. Deren banalster besteht darin, daß jede Szene zu einem eigenen Dramolett ausgebaut wurde mit Eröffnung, Steigerung, retardierendem Moment, Höhepunkt und Auflösung. (...) Im Verbund mit anderen Szenen jedoch, die alle nach demselben Strickmuster gebaut sind und ihren Anfang, ihre Mitte und ihr Ende haben, ergibt sich der Effekt ödester Gleichförmigkeit und vollkommener Spannungslosigkeit, so aufregend, als ob man auf einer Achterbahn führe, die aus geradlinig aneinandergereihten Sinuskurven bestünde."19

Jene Handlungen oder Sätze, die das Publikum zum Lachen bringen, funktionieren nach dem einfachen Mechanismus der Überraschung. Das Schwierige ist, daß es wohl hundert verschiedene Arten von Überraschungen gibt, und davon noch etliche Variationen. Trifft man das Wort, den Ausdruck, den Blick, der von diesen hunderten Variationen die beste Möglichkeit ist, wird man auch (fast) jeden im Zuseherraum zum Lachen bringen. Garson Kanin (1912-1999)20 hat in einem Interview einmal darüber gesprochen, wie schwierig es für den Schreiber eigentlich ist, die universale Überraschung zu finden: "Wenn es wahr ist, daß man vor allem bei Überraschungen lacht, stellt sich die Frage, warum man dann mitten im Schreiben zu lachen anfängt. Die Antwort ist, daß man ja nicht schon vorher weiß, was man hinschreibt, sondern unbewußt schreibt. Das Bewußtsein beobachtet das Geschriebene gleichsam, das Auge sieht es, die Empfindung nimmt es auf, und dann lacht man, weil man tatsächlich überrascht ist über das, was man geschrieben hat. Das ist eine der wichtigsten Lektionen beim Schreiben überhaupt. Menschen, die streng auf einer bewußten Ebene arbeiten, schreiben auch nicht gut."21

 

Recherche

Recherche ist das Um und Auf jedes Filmskripts. Drehbuchautor Richard Brooks, der ursprünglich aus dem Journalismus kam, stellte in einem Interview einmal fest: "Die Suche nach Tatsachen ist entscheidend für das Drehbuchschreiben. Natürlich sind Drehbücher oft reine Fiktion. Aber die Recherche macht das Wissen um die Tatsachen aus und wie ich die Figuren und ihre Handlungen verstehe."22 Selbst wenn man sich sicher wähnt über die Zeichnung von Charakteren, sollte jeder Autor auf "Nummer Sicher" gehen und das, was er geschrieben hat, mit Tatsachen vergleichen. Wie Barbara Albert im Interview erklärt, habe sie das Bild des mißbrauchten Mädchens Jasmin in Nordrand gefühlsmäßig gezeichnet, schließlich gemeinsam mit der Hauptdarstellerin mißbrauchte Frauen aufgesucht: "Dort hinzugehen war für mich irrsinnig wichtig, auch, um mich abzusichern. Es hat während der Arbeit am Buch von vielen Seiten geheißen, gib doch diese Mißbrauchsszene zwischen dem Vater und Jasmins Schwester raus. Und da habe ich aber gesagt, das ist so wichtig, weil sich die Jasmin dadurch erklärt."

 

Fred Zinnemanns Film Teresa (1951) wurde vom damals jungen Autor Stewart Stern (geb. 1922) geschrieben. Sterns eigene labile seelische Lage, die ihn immer wieder zu Psychoanalytikern führte, evozierte die Recherche als psychoanalytische Untersuchung über eine fiktive Hauptfigur, des psychisch labilen Soldaten Philip Cass: "Ich ging zur Veteranenbetreuung und fragte, ob ich Einsicht in die Akten haben könnte. Ich sagte, ich will die Figur analysieren nach all den Symptomen, die ich Ihnen nenne. Dann sagen Sie mir nach Ihren Erfahrungen, welche Prognose Sie dafür haben, wenn er ein Mädchen aus einem italienischen Dorf, in dem er stationiert ist, heiratet, wenn er sie mit nach Amerika mit, wie die Beziehung mit seinen Eltern verläuft, die diese und jene Biographie haben. Und Sie haben tatsächlich ihre Akten geöffnet. All die psychometrischen Tests, die sie an solchen Personen vorgenommen haben, Interviews, Notizen von Psychologen. Dieses Material hat die Story für mich geöffnet, gab mir eine Idee über die Motivation der Figuren. Und so habe ich immer gearbeitet, mich so weit wie möglich in psychologische Studien vertieft, um ein wahrhaftes Bild der Psychodynamik einer Figur zu bekommen."23

Mitunter kommt es, wenn zwei Autoren am Werk sind, zu einem, der zu einem Thema anregt, eine Idee oder Bilder vor Augen hat, und dem zweiten, der durch Recherche das Narrative beisteuert. Emir Kusturicas Time of the Gypsies entstand, indem der Regisseur davon hörte, daß Roma-Kinder von Serbien nach Italien verkauft wurden. Er erzählte dem Autor Gordan Mihic davon und meinte, daß dies ein gutes Thema für einen Film sei. Fast gleichzeitig war Mihic auf eine Zeitungsnotiz gestoßen: ein Bub mit sechs Jahren hat acht Jahre lang in Italien für seinen Herrn gebettelt, der zu ihm gesagt hat, daß er all das verdiente Geld dazu aufwenden wird, zwei Häuser zu bauen. Eines für den Buben, eines für sich selbst. Als sie fertig gebaut hatten, stellte sich heraus, daß der Herr beide Häuser für sich gebaut hat. Der Junge versuchte ihn mit einem Ziegelstein zu erschlagen und verletzte ihn schwer. Es gelang dem Autor den halbwüchsigen Buben in einem Heim in Skopje ausfindig zu machen: "Ich habe mit ihm gesprochen", erzählt Gordan Mihic, "dann haben wir seine Geschichte gehört, die so stark und authentisch war, daß nur ein Abend im Dorf in meinem Haus genügt hat. Wir haben die Reihenfolgen der Szenen aufgestellt, dann ist Emir nach Sarajewo gegangen, und ich habe in sechzehn Tagen das Szenario fertiggeschrieben, das Drehbuch."24 Und in dessen Zentrum steht tatsächlich die gehörte Geschichte.

Ein problematischer Fall ist die Finanzierung von Recherchen. Es gibt zwar Töpfe, die Drehbücher fördern, für die Förderung muß man aber erst einmal ein Treatment schreiben, für das man – wenn es wirklich eine Vorlage für das Drehbuch sein soll – wiederum recherchieren muß. Daß die Zeit der Recherche viel länger dauert als das Schreiben am Treatment oder Drehbuch, wird von keinem Sender, keiner Förderungsstelle wahrgenommen. Recherche ist nach wie vor Privatsache und muß aus eigener Tasche bezahlt werden. Felix Mitterer hat für "Verkaufte Heimat", einer Südtiroler Familiengeschichte, die mehr als 30 Jahre umspannt, beinahe vier Jahre recherchiert. "Ohne Bezahlung, woran ich aber selber schuld war", erzählt Mitterer.25 Der Redakteur hätte schon viel früher unter die Arme gegriffen – hätte er davon gewußt... Zu spät ist also ziemlich schnell geschehen. Eigentlich in dem Moment, in dem man einen Drehbuchvertrag unterschreibt und draufkommt, daß das Honorar gerade für die Recherche reicht.

 

Kleines Brevier zu gängigen Ablenkungen und dazugehörigen Ausreden

Gängige Ablenkungen vom Schreiben Dazugehörige Ausrede
Schlafen Zum Schreiben muß man erholt sein
Essen Mit leerem Magen schreibt sich's nicht gut
Zeitung lesen

schärft die Sinne und die Allgemeinbildung, immer gut für die Recherche

Spazieren gehen Nur sitzen ist ungesund, mens sana ... eh schon wissen
Fernsehen Schließlich muß man wissen, welchen Blödsinn sich die Leute ansehen
Einkaufen Vielleicht sieht man ja ein Buch, das man unabdingbar für die Recherche braucht
Zusammenräumen Nichts ist verdrießlicher als das Arbeiten an einem unaufgeräumten Schreibtisch
Mittagsschläfchen Die meisten Menschen sind zu dieser Zeit an einem Leistungstief angelangt
Telefonieren Was wären wir Autoren ohne unsere sozialen Kontakte
Post beantworten
Endlich aus dem Weg räumen, um Zeit fürs Schreiben zu haben
Ins Kino gehen Man muß Filme sehen, um sie schreiben zu können
Ausgehen und trinken
Über was soll man schreiben, wenn man nichts erlebt?
 
Computer spielen Einmal Michael Schuhmacher in der Formel 1 abhängen und dann mit gestärktem Selbstvertrauen zum Schreiben beginnen
Internet surfen Man will sich ja nur beweisen, daß man auf
sowas weiß Gott nicht süchtig werden kann

 

Fußnoten:

1 "Billy, how did you do it", TV-Interview mit Billy Wilder, geführt von Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek, Teil IV
2 Robert Thayenthal: Kunst und Brot - ein Widerspruch? In: Sabine Perthold [Hg.], Der gebrauchte Autor, Drehbuchforum Wien 1997, S. 76
3Patrick Süskind: "Film ist Krieg, mein Freund" Über einige Schwierigkeiten beim Drehbuchschreiben; im Anhang an "Rossini", Drehbuch, Zürich, 1997, S. 207
4Malcolm Cowley [Hg.]: Writers at Work –The Paris Review Interviews, William Faulkner, New York 1958, S.149
5Interview with Garson Kanin. In: Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 2, Interviews with Screenwriters of the 1940s and 1950s, Berkely 1991, S.104f.
6Elsaesser, Thomas: Flieger, grüß mir die Sonne: Österreich und Walter Reisch, In: In: Ruth Beckermann/Christa Blümlinger [Hg.]: Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos, Wien 1996, S.334
7Hanns-Ivo Schneider, Denn sie wissen, was sie tun – erfolgreiche Drehbuchautoren in Österreich, HSfMD, Wien, Abt. Film & Fernsehen, WS 1998,., S.53
8Hanns-Ivo Schneider, a.a.o., S.75
9 Wendelin Schmidt-Dengler: Heimito von Doderer, In: Fetz, Bernhard und Kastberger, Klaus: Der literarische Einfall. Über das Entstehen von Texten. Zsolnay Verlag, Wien 1998, S.120-126
10Hanns-Ivo Schneider, a.a.o.,., S.20/21
11ibid. S.69/73
12Aus:
Hanns-Ivo Schneider, a.a.o.. Die Zitate stammen aus den Seiten 17 (Mitterer), S.51 (Wippersberg), S.86 (Baum)
13 Interview with Dean Devlin, In: Zorianna Kit: Actors who write, August '97 issue of Written By, pg. 42
14Hanns-Ivo Schneider, a.a.o.., S.17
15Luis Buñuel: Mein letzter Seufzer: Erinnerungen. Königsstein 1983 (Taschenbuch: Frankfurt/M., Berlin 1994), S.36f.
16Malcolm Cowley [Hg.]: Writers at Work –The Paris Review Interviews, William Faulkner, New York 1958, S.144
17E-mail Interview with Alan Ball; WGA Website, 4/2000
18"Billy, how did you do it", TV-Interview mit Billy Wilder, geführt von Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek, Teil IV

19Patrick Süskind: "Film ist Krieg, mein Freund" Über einige Schwierigkeiten beim Drehbuchschreiben; im Anhang an "Rossini", Drehbuch, Zürich, 1997, S. 210
20Garson Kanin schrieb mit seiner Frau Ruth Gordon die Drehbücher zu Komödien mit Spencer Tracy und Katherine Hepburn wie Komödie Adam’s Rib (Ehekrieg, 1949) und Pat and Mike (1952). Regisseur George Cukor inszenierte auch Kanin/Gordon-Bücher zu A Double Life (Ein Doppelleben, 1948), Born Yesterday (Die ist nicht von gestern, 1950), The Marrying Kind (1952), It Should Happen To You (Die Unglaubliche Geschichte der Gladys Glover, 1954)
21Interview with Garson Kanin. In: Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 2, Interviews with Screenwriters of the 1940s and 1950s, Berkely 1991, S.103
22Interview with Richard Brooks. In: Pat McGilligan, Backstory 2, a.a.o., S.64
23 Interview with Stewart Stern. In: Pat McGilligan, Backstory 2, a.a.o.,S.280
24 Gordan Mihic in einem Gespräch mit Goran Rebic, in: Gustav Ernst [Hg.]: Autorenfilm – Filmautoren, Wien 1996, S.63
25 Hanns-Ivo Schneider: a.a.o, S.20

   Inhaltsverzeichnis Homepage