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DIALOGE SCHREIBEN

Geschichtlicher Abriß des Dialogs in Filmen

Wenn man die Geschichte des Drehbuchschreibens genauer betrachtet, gab es mit der Einführung des Tonfilms eine Zäsur. Der Autor verstand sich vor 1930 eher als Bildermaler und Beschreiber, nicht einmal die Zwischentexte oblagen den Autoren. René Clair schrieb 1925: "Ein Film ist von dem Augenblick an "rein", sobald er ausschließlich visuelle Wirkungen auf den Zuschauer hat [...] Das Literarische eines Scenarios ist auf jeden Fall zu vermeiden."1 Und Fernand Léger bemerkte im gleichen Jahr: "Der Irrtum des Kinos ist das Drehbuch"2 Diese Bemerkung ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß das Drehbuch zu Beginn der Filmgeschichte nicht unbedingt fester Bestandteil in der Filmherstellung war. Bis 1926 gab es zum Beispiel in amerikanischen Filmen keine Credits für Drehbuchautoren: Es gab zwar Gagschreiber, Treatmentautoren, Szenaristen, Zwischentitel-Texter, etc., die jedoch für ein Butterbrot ihre Texte für die noch junge Filmindustrie ablieferten.3 Mit der Einführung des Tonfilms (1929) waren plötzlich gute Dialogschreiber gefragt. Während heutzutage manche Drehbuchautoren meinen, die wahre Kunst des Drehbuchschreiben liege in den Dialogen, so muß man doch feststellen, daß eine expressive Bildsprache eines Carl Mayer, z.B. in Das Cabinet des Doktor Caligari (D, 1919, Regie: Robert Wiene), bis heute unerreichbar geblieben ist. Mayer erlitt das bedauernswerte Schicksal, nicht mehr den Anschluß an den Tonfilm gefunden zu haben. Und mit ihm viele, viele andere Stummfilmautoren. Noch vor der Einführung des Tonfilms wurde das Drehbuch, wie Béla Balász schreibt, "zur literarischen Kunstform, und zwar, als der Film sich von der Literatur befreite, als er, selbständig geworden, eigene visuelle Wirkungen anstrebte."4 Der Tonfilm brachte aber sofort einen visuellen Verlustfür den Film, die bildmalerische Qualität von Drehbüchern war nicht mehr gefragt.

Zu Beginn der neuen Technologie war man sich auch uneinig, welche sprachliche Herangehensweise der Filmautor wählen sollte. Bela Balázs erschienen Laut und Klangfarbe – und nicht etwa Gespräch und Dialog – bei der Gestaltung der sprachlichen Artikulation am interessantesten. In seiner zweiten, eigentlich dem Tonfilm zugeneigten Filmtheorie Der Geist des Films (1930) konstatiert er: "Der Ton des Menschen ist im Film interessanter als das, was er sagt. Auch beim Dialog wird der akustisch-sinnliche Eindruck ausschlaggebend sein, nicht das Inhaltliche"5. Schon präziser drückte es Rudolf Arnheim aus, der von Beginn an skeptisch war, daß Ton und vor allem Sprache ein künstlerisches Element des Films sein könnte. In seiner Theorie Film als Kunst (1932) spricht er davon, daß die "Filmsprache lebensnäher sein müsse" als etwa die Bühnensprache. "Weder durch schöne Geschliffenheit und Geschlossenheit der Wortfolgen noch auch durch ein getragenes Deklamieren, wird sie sich als etwas Künstliches zu erkennen geben dürfen, wenn sie nicht als ein isolierter Fremdkörper in ihrer Welt stehen will, sondern der Tonfilm wird die oft unpräzise, fetzenhafte Sprache des Alltags bringen"6.

Einige Filmkünstler haben tatsächlich schon von Beginn den Ton von der Dialektik befreit und als kontrapunktisches, künstlerisches Element benutzt. In Chaplins erstem Tonfilm City Lights (1930) hört man kein einziges Wort. Einer hält eine Rede, aber aus seinem Mund kommen nur unartikulierte Laute, ein quäkendes Getön – Parodie auf die Inhaltlosigkeit so vieler Reden. Auch René Clair ließ in seinem ersten Tonfilm Sous les Toits de Paris (1930) hauptsächlich Geräusche und Laute vorherrschen, der Dialog tritt zurück. In den meisten anderen Filmen der frühen Tonfilmzeit erkennt man das Bemühen, daß Dialog nun plötzlich die Handlung transportieren soll.


Heute erfüllen Dolby-Surround-Sound-Effekte die Funktion der "filmischen Lautmalerei". In TV-Filmen fungiert Dialog primär als Informationsübermittlung, paßt sich genau Situation und Figur an. Die Kunst des Dialogschreibens ist eigentlich das Unausgesprochene, die Emotion: Über eine Schwierigkeit zwischen geschriebenem Dialog und dessen Realisierung weist der junge österreichische Regisseur Götz Spielmann hin. "Oft sind gerade die Dialoge, die sich blendend lesen, die schlechten. Die Konzentration, das Bewußtsein des Lesenden ist ein anderes als das des Schauenden", und weist damit auf eine grundsätzliche Schwierigkeit zwischen Autor und Regisseur hin: "Im Film stürzt dann alle Spannung ab, denn die Bilder können mit diesem blendenden Dialog nichts anderes tun, als ihn zu illustrieren. Und die Augen des Zuschauers sind, anders als die Fantasie des Lesenden, so nicht befriedigbar. Sie bekommen keine Geschichte erzählt, denn diese ist zu hören." 7

Es ist vielleicht eine Anmerkung wert, daß sich im Film technisch in kurzer Zeit sehr viel verändert hat, ebenso gibt es heutzutage – und das sogar im Mainstream-Kino – das Bemühen, neue Erzählformen zu versuchen, in puncto Dialog allerdings hat es in den letzten Jahrzehnten überhaupt keine Weiterentwicklung gegeben. Vielleicht war die letzte große Innovation der innere Monolog, wie er erstmals in Orson Welles‘ Citizen Kane eingesetzt wurde. Es folgten Kunstfilme, die diesen Off-Text als literarisches Stilmittel benutzten (Resnais Filme Letztes Jahr in Marienbad oder Hiroshima mon amour), dann der sparsame, reportagenhafte Monolog in den Filmen des cinéma vérité. Der kontrapunktische Monolog der Satire, wie er schon früh in dem englischen Film Adel verpflichtet (GB 1949 / R.: Robert Hamer) mit dem staubtrockenen, humorvollen Kommentaren von Alec Guiness eingesetzt wurde, findet sich durchaus erfolgreich im modernen Hollywood-Kino wieder - in Filmen wie Forrest Gump und American Beauty.

 

Problemfeld "österreichische" Dialoge

Ein spezifisch österreichisches Problem seit der Einführung des Tonfilms ist das bewußte Ausklammern des österreichischen Dialekts in vielen Filmen, respektive das Vorhandensein eines künstlichen "Österreichischen", das nirgendwo in Wirklichkeit gesprochen wird. "Es ist das Wienerische/Österreichische, wie es sich die Deutschen vorstellen – und sie stellen es sich so vor, weil es ihnen in einem fort so vorgespielt wird – es ist, um einen Filmtitel zu bemühen, ein circuito chiuso zu diagnostizieren.", schreibt der Autor und Filmpublizist Georg Schmid.8

Gerade in den letzten Jahren ist es in heimischen Produktionen wieder verstärkt zu einer Germanisierung und "Wenzellüddeckisierung" der Sprache gekommen. Keiner von den drei in dieser Arbeit befragten österreichischen Autoren hat angegeben, diesen Kompromiß eingehen zu wollen. Bei Ernst Hinterberger versteht es sich von selbst, seine Stoffe spielen ausschließlich in Wien. Allerdings schreibt er die Dialoge nicht im Dialekt. Dies hat sicher mit einer besseren Lesbarkeit, aber auch mit dem Vertrauen, daß der Schauspieler den Dialog im Dialekt sprechen wird, zu tun. Die Vulgarität, die dem Autor dabei oft vorgeworfen wird, bezieht er aus dem alltäglichen Wiener Sprachduktus: "Wenn man [in Wien] einen trifft und sagt ‚Servus, du alter Hurenbangel‘ meint man ja damit nicht, daß dessen Mutter am Strich gegangen ist, das ist eine Redewendung."

Für Fritz Lehner, der einerseits mit Laien arbeitete und deren Sprache in keiner Weise einschränkte, andererseits Drehbücher schrieb, die nach der Hochsprache verlangten, ist es ein Greuel in österreichischen Filmen bundesdeutsche Ausdrücke zu finden: "Alles wird genormt nach einer Sprache, von der man meint, sie müßte wirklich deutsch sein. Das Deutsche, das in Deutschland gesprochen wird, ist ja voller Fehler, ist voll Unbeholfenheiten, gehört zum Dümmsten überhaupt, wie man Deutsch sprechen kann."(Interview) Nicht nur Lehner, sondern auch Barbara Albert, ist es gelungen, sich gegen deutsche Co-Produktionspartner (bei Lehners Schöne Tage der Sender Freies Berlin, bei Alberts Nordrand das ZDF) durchzusetzen und den jeweils regionalen Dialekt in ihren Filmen beizubehalten. Allerdings: beide Sender waren nicht federführend an den Projekten beteiligt.

Ganz anders stellt es sich dar, wenn der deutsche Partner mehr Geld im Spiel hat. Und mehr Macht. Es ist eine österreichische Angewohnheit, dem Druck aus Deutschland freiwillig nachzugeben und vorauseilend Gehorsam zu leisten. Die Tradition dieser Anbiederung läßt die Erinnerung an dunkle Zeiten wach werden. Schon zwischen 1934 bis 1938 bemühte man sich redlichst, die "Entjudung" der österreichischen Filmindustrie durchzuführen. Und auch sprachlich wollte man von den Deutschen "verstanden" werden. Der Volksschauspieler Paul Hörbiger bekannte sich auch nach dem Krieg noch zur sprachlichen Assimilation: "Aufgrund meiner reichen Erfahrungen, die ich während meiner Dreharbeiten in Deutschland sammeln konnte, habe ich mir einen Wiener Dialekt zugelegt, der auch in Berlin und Hamburg verständlich ist." 9

Seltsamerweise gelingen auch heute trotz sprachlicher Anpassung kaum österreichische Filme, die in Deutschland reüssieren können. Danach sind alle erstaunt und können es sich nicht erklären. Vielleicht bekommt man eine Antwort, indem man sich die umgekehrte Situation ansieht. Denn auch die deutschen Filme sind, bis auf wenige Ausnahmen, und obwohl sie sprachlich hier bestens verstanden werden, in Österreich alles andere als erfolgreich. In Wirklichkeit kommt auch nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der deutschen Kinoproduktionen in unsere Filmtheater, also kann die Sprache allein nicht der einzige "unüberwindbare Gegensatz" sein.

 

Problemfeld Synchronizität

Ein Problem, das beim Schreiben von Dialogen auftreten kann, das spätestens beim Auflösen und Inszenieren akut wird, ist die Tatsache, daß es ja nicht nur Dialoge zwischen zwei Menschen, sondern auch zwischen drei, vier oder vielen Figuren gibt. Das erste Problem beim Schreiben ist, in welcher Form die gleichzeitig laufenden Dialoge, wie sie zum Beispiel in einem Restaurant vor sich gehen, zu Papier zu bringen sind. In der Prosa hat man ja das schöne Wort "während", um auf synchron laufende Handlungen hinzuweisen. Dem Drehbuch, als streng chronologisch aufgebautes Szenenprotokoll, nützt dies nichts. Der Autor kann nun alle Dialoge, auch die aus dem hintersten Off-Winkel in sein Drehbuch aufnehmen, und zum Beispiel nebeneinander aufschreiben, was sicherlich die Lesbarkeit einer Szene erschwert, oder er entscheidet sich, die Figuren nur peripher in der Szene anzuführen und eine Beschreibung wie "Gesprächsfetzen vom Nebentisch sind zu hören" zu schreiben. Der Nachteil an der peripheren Beschreibung ist sicherlich, daß sich der Regisseur die "Vorstellung" des Autors eben nicht vorstellen kann, und diesen kleinen Nebensatz für so unwichtig hält, daß die Szene plötzlich nicht mehr in einem belebten Restaurant, sondern an einem einsamen Würstlstandl spielt. Wie auch immer, Dialoge zwischen mehr als drei Personen bringen selbst große Könner des Regiefachs in Schwierigkeiten. Im Theater ist die Sache einfach, im Film ist es eine große Kunst, Szenen von einer sprechenden Masse gut zu inszenieren. Bei einem Gespräch zwischen acht Personen die richtigen Achsen im Kopf zu behalten, die unterschiedliche Sprache und Lautstärke der Beteiligten zu berücksichtigen und dies alles in eine umfassende Choreographie zu fassen, ist keine leichte Aufgabe. Vor allem, wenn man auf diese Weise Pointen transportieren will. Sollte der österreichische Drehbuchautor merken, daß der Regisseur bei solchen Szenen nicht sattelfest ist, sollte er sie schleunigst reduzieren oder ganz weglassen. Eines der wenigen, gelungenen Beispielen der jüngsten Zeit war der dänische Film Das Fest (1998, Regie & Buch: Thomas Winterberg), auch alle Bergman-Filme geben Nachhilfe in guter Dialog-Auflösung. So gesehen wären heimische Dialogmeister in Skandinavien besser aufgehoben.

 

Fußnoten:

1 René Clair: Cinéma pur et cinéma commercial. In: Les Cahiers du Mois, No 16/17 ("Cinema"), 1925, S.90
2 Fernand Léger: Der Irrtum ist das Drehbuch" In: Les Cahiers du Mois, No 16/17 ("Cinema"), 1925
3 Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 1, Interviews with Screenwriters of the Golden Age, Berkely 1991, S.1
4 Béla Balasz: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst. Wien 1949, S.230
5 Balázs, Béla: Das Tonfilm-Manuskript. In: Film-Kurier v. 1.6.1929, In: Béla Balázs: Schriften, Bd. 2, S.252f.
6 Arnheim, Rudolf: Film als Kunst (1932). Frankfurt 1979, S.240f.
7 Götz Spielmann, in: Gustav Ernst (Hg.): Sprache im Film, Wien 1994, S.111
8 Georg Schmid: Der österreichische Film existiert nicht, in: Ruth Beckermann/Christa Blümlinger [Hg.]:Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos, Wien 1996, S.162
9 W.Höfig: Der deutsche Heimatfilm 1947-1960. Stuttgart 1973, S.73, In: Walter Fritz: Kino in Österreich 1945-1983, Wien 1984, S.111

 

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