INTERVIEW
FRITZ LEHNER
Kein Fest für Produzenten
Als ich bei Fritz Lehner um ein
Interview anfrage, befindet er sich mitten in den Dreharbeiten zu
"Jedermanns Fest". Zweieinhalb Jahre, nachdem die letzte
Klappe zu den ersten Dreharbeiten gefallen ist. Dazwischen lag ein
Kampf zwischen Produzent und Filmautor, der nicht nur in der Branche
die Gemüter erregte. Der mittlerweile in der Regierung sitzende
Franz Morak stellte bereits 1997 zwei dringliche parlamentarische
Anfragen an den Bundeskanzler, wie nun der Bund der Fortsetzung
des Filmwerks gegenüberstünde. Die Rede war vom teuersten österreichische
Film aller Zeiten. Dabei wurde übersehen, daß von den 70 Millionen,
die der Film an Herstellungskosten erforderte, zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr als 29 Millionen aus Österreich kamen, von Seiten des
Bundes (ÖFI) nicht mehr als acht Millionen, was sich durchaus in
den normalen Förderungsgrenzen für einen Spielfilm bewegte. Dies
hinderte den damaligen FPÖ-Kultursprecher und jetzt an ganz anderer
Stelle wieder von der Bildfläche verschwundenen Michael Krüger nicht,
zu wettern, daß "diesem Mißbrauch von Steuergeldern ein Riegel
vorgeschoben werden muß." Angesichts dessen war das Vertrauen
und die Offenheit, die mir Fritz Lehner gegenüber meinem Ansinnen
nach einem Gespräch entgegenbrachte, geradezu verblüffend. Er sicherte
mir nach Ende der Dreharbeiten das Interview zu.
Nachdem ich die Zeit bis dahin nutzen wollte, holte ich mir in der
Produktion ein Drehbuch von "Jedermanns Fest". Dort war
das Vertrauen schon nicht mehr so groß. Ob ich Journalist sei, und
wenn ja, von welcher Zeitung. Und was gab es nicht für Lärm und
Geschrei rund um diesen Film. Einhellig war man der Meinung, daß
Lehner, der bereits 1986 mit seiner Schubert-Verfilmung "Mit
meinen heißen Tränen" das ursprünglich kalkulierte Budget sprengte,
nie wieder Regie führen werde. Neider riefen aus, daß dieser Film,
der wohl ein Torso bleiben würde, mehr Geld verschlungen hätte wie
drei andere Filme, die man stattdessen machen hätte können. Erstaunlich
an dieser Diskussion war nur, daß man die rein wirtschaftliche Seite
sah, und nur selten von den großen künstlerischen Erfolgen Lehners
die Rede war. Selbst Wolfgang Lorenz vom ORF sagte mitten in dem
bereits zum Rechtsstreit gewordenem Konflikt zwischen Produzent
und Regisseur, daß Lehner mit seinem Verhalten den Grabstein für
seine Karriere setzte.
Schließlich lese ich das Drehbuch "Jedermanns Fest" und
befinde, daß es kaum noch Autoren gibt, die in der Lage sind, durch
ihre Sprache eine derart klare Atmosphäre ihrer filmischen Vorstellung
zu vermitteln. Lehners Bildsprache versteht sich auf das "Dazwischen",
auf die subtile Schilderung von Details, die den Figuren glaubhaften
Charakter gibt. In einer Sprache von hoher literarischer Qualität
schreibt der "Filmautor" Lehner Szenen, die nicht nur
den Gesetzen der Dramatik gehorchen, sondern auch lyrischen Charakter,
Atmosphäre, haben.
Auffällig am Drehbuch sind einige
handgemalte, schwarze Striche - Szenen, die noch zu drehen waren,
wichtige und teilweise sehr aufwendige Szenen -, dann andere, die
wieder gestrichen wurden. Lehner hatte, nachdem im Herbst 1996 die
Dreharbeiten abgebrochen wurden, ein "Notprogramm" erstellt,
das in drei Wochen Drehzeit realisiert werden hätte sollen. Der
Produzent lehnte ab. Dazu sind vielleicht zwei Dinge anzumerken:
Der Produzent, Veit Heiduschka von der Wega Film, zählt immer noch
zu den seriösen österreichischen Filmproduzenten, und eine Weiterführung
des Projekts ohne weitere Förderungen hätte die Produktionsfirma
in den sicheren Konkurs geführt. Nachdem Veit Heiduschka im Juni
1998 zwei Drehtage ohne den Regisseur nachholte, klagte Lehner den
Produzenten. Daß es dann doch nicht zu einem Prozeß kam, lag daran,
daß die Geldgeber an den künstlerischen Erfolg des Stoffes glaubten.
Einerseits war dies ein großes Glück für den Film, andererseits
hätte ein Prozeß, bei dem es um den Eingriff des Produzenten in
ein urheberrechtlich geschütztes Werk gegangen wäre, zumindest für
Autoren eine interessante Situation ergeben: Hätte Lehner gewonnen,
wäre daraus ein Präzedenzfall geworden, der die Position der Produzenten
geschwächt hätte. So sind wir in Österreich, wo wir vorher waren:
beim rechtlosen Autor. Zumindest sollte uns aber die Konsequenz,
mit der Fritz Lehner die Realisierung seines Stoffes verfolgte,
ermutigen, daß wir gegenüber Produzenten als Urheber selbstbewußt
auftreten können. Im übrigen ging es in meinem Gespräch mit Fritz
Lehner nur am Rande um den Streit mit dem Produzenten. Viel interessanter
schien mir die disziplinierte und einzigartige Schreibmethode von
Lehner. Es ist zu wünschen, daß "Jedermanns Fest" genauso
emotionales Aufsehen bei seiner künstlerischen Beurteilung erregen
wird wie bisher bei Plauschen zwischen Brancheninsidern. Und daß
es noch lange nicht der letzte Film von Lehner bleiben wird...
INTERVIEW. MAI 1999
In welchem
Alter haben Sie sich entschieden, mit Film zu arbeiten?
Meine Überlegung, mit Film zu arbeiten, hat sich so mit 14,15
herauskristallisiert, mit 16 war mir klar, ich möchte es machen.
Davor standen noch Überlegungen, mich mit Theater zu beschäftigen.
Mein Zugang war die Verbindung von Kunst und Technik. Ich habe mich
damals mit Hörspielen und Tonbandtechnik beschäftigt. Ich hab dann
vorerst begonnen, Hörspiele zu schreiben und, wie jeder Student,
Lyrik. Dann erste kurze Erzählungen, dann längere, und dann kurze
Drehbücher und dann längere. Ich hab 1970 zur Aufnahmeprüfung sehr
viele Drehbücher eingereicht. Das scheint dem Alten (Zusanek) gefallen
zu haben, ich wurde aufgenommen und hab dann Regie und Drehbuch
studiert. Drehbuch allerdings nicht abgeschlossen, sondern nur Regie,
das war 1975.
Wenn man Ihre Filme ansieht, spürt man ein sehr starkes bildnerisches
Element. Was Sie jetzt erzählt haben, kommen Sie doch eher von der
Sprache, vom Wort...
Vorrangig wird immer
das Bild sein. Deswegen muß man das andere nicht vernachlässigen.
Wenn ich gesagt habe, daß ich mich mit Hörspielen beschäftigt habe,
so war das die erste Möglichkeit, in Verbindung mit einer Technik,
die etwas reproduzierbar macht, etwas zu kreieren, das jederzeit
vorführbar ist. Zwangsläufig war das Wort am Anfang, ist sehr schnell
ergänzt worden durch das Bild, indem ich nicht nur Hörspiele gemacht
habe, sondern auch Tonbildschauen, und zwar in Verbindung mit dem
damals noch wenig berührten Gebiet der Stereophonie. So wie andere
Maturaklassen Theater gemacht haben, haben wir Tonbildschauen gemacht.
Das Wort ist natürlich etwas, das ich sehr schätze und hoffentlich
sehr pflege, aber das Um und Auf des Films ist natürlich das Bild.
Wie waren ihre Erfahrungen
auf der Filmakademie? Haben Sie viele Kurzfilme gemacht?
Ja, wie andere auch.
Möglicherweise etwas mehr als manche meiner Kollegen, aus dem einfachen
Grund, weil ich gemerkt habe, ich werde von einigen wenigen Lehrern
einiges bekommen an Unterricht, werde letztendlich aber auf mich
selbst gestellt sein. Ich habe auf der Filmakademie von sehr vielen
Leuten nichts gelernt, und von sehr wenigen sehr viel. Immer wieder
hab ich die Möglichkeit genützt, nach dem Pflichtprogramm, dem Dokumentarfilm
oder was immer von Stummer und dann von Corti gefordert wurde, den
sogenannten Kürfilm zu machen. Das heißt, wenn man mit dem Programm
fertig war, konnte man noch Material und Geld bekommen, um einen
Film freier Wahl zu machen. Und das hab ich immer genützt.
Wie sind Sie mit
Corti zurechtgekommen?
Insgesamt ganz gut,
weil ich von ihm vieles gehört habe, was ich vorher noch nicht gehört
hatte, weil er aus der Praxis kam, wobei ich auch das Gefühl hatte,
daß Corti sehr sorgfältig damit umgegangen ist, was er uns mitgeteilt
hat. Wir haben uns gut verstanden. Das hat sogar so weit geführt,
daß ich sein zweiter Regieassistent bei "Jakob, der Letzte",
einer Rosegger-Verfilmung, war. Der erste Regieassistent war übrigens
Reinhard Schwabenitzky. Ich war sicher der denkbar schlechteste
Regieassistent, den Corti jemals gehabt hatte. Ich hab das ständig
mißverstanden und mich immer wieder damit beschäftigt, wie man etwas
inszenieren könnte und dadurch versäumt, manche wirklich wichtigen
Informationen zwischen Produktion und Regie weiterzugeben. Axel
Corti hat das, so glaube ich, auch zu Recht bereut, allerdings ihn
nicht davon abgehalten, wenn´s einen Film von mir gab, mich anzurufen
und mir zu sagen, daß er ihm gefallen hätte, und was mich
als Anerkennung besonders gefreut hat , daß er in der Zeit,
wo er von seiner Krankheit wußte, mir die Regie für die Fertigstellung
von "Radetzkymarsch" übertragen wollte.
Ich hatte übrigens
auch für zwei Semester Wojtech Jasny als Regielehrer, ein Cannes-Preisträger
aus der damaligen Tschecheslowakei, das war 1972/73. Ich hab damals
einen Kurzfilm in Verbindung mit ihm gemacht, ein Film mit dem Titel
"Züge". Das war ein 27-Minuten-Spielfilm, der mich als
Schüler des zweiten Jahrgangs schon sehr herausgefordert und beschäftigt
hat. Und dann gab es noch Stummer, mit dem ich eine Fülle interessanter
Gespräche hatte, die über das Regiehandwerk hinausgingen. Da ging
es um philosophische Themen oder um grundsätzliche Themen der Lebensgestaltung,
Lebenshaltung, Moral und tausend andere Dinge. Auch das hat mich
sicher geprägt.
Regie haben Sie
abgeschlossen, Drehbuch nicht.
Ich hätte nur mehr
ein langes Drehbuch schreiben und die Diplomarbeit machen müssen,
aber es hat dann keinen Sinn für mich ergeben. Es war eine Situation,
in der mir Zusanek seine Art des Drehbuchschreibens doch immer mehr
nahebringen wollte und meine Tendenzen und Absichten unter Umständen
ein wenig verkümmert wären. Ich wollte nicht ein kleiner Zusanek
werden. Wir sind aber ohne jede Konfliktsituation auseinandergegangen,
sondern mit großer Wertschätzung.
Nach der Filmakademie
haben Sie relativ bald Fernsehfilme gemacht
Eigentlich unmittelbar
danach und zwar hab ich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die
Kurzfilme, die ich auf der Filmakademie gemacht habe, Leuten zu
zeigen, die in der Branche tätig waren, speziell Redakteuren. Teilweise
war es auch gar nicht notwendig, weil es damals die Sendung "Aus
der Werkstätte der Filmakademie" gab, später hieß es "Metternichgasse
12", in der Filme von Studenten im Fernsehen gelaufen sind.
Ich habe dadurch Zugang zu Leuten bekommen, die in der Branche als
Produzenten oder Redakteure tätig waren. Durch die Vermittlung eines
Schauspielers, Rudolf Jusits, habe ich Hans Preiner kennengelernt,
der lange Jahre beim ORF eine Sendereihe geleitet hat, die vergleichbar
mit den "Kunststücken" war. Damals gab es ein Projekt:
die Verfilmung eines Kapitels des Romans "Der große Horizont"
von Gerhard Roth. Das ist dann ein Jahr lang herumgetragen worden,
es kam aus verschiedenen Gründen nicht dazu und dann hat man mir
das angeboten. Das war ein kleiner Spielfilm, allerdings mit der
Bereicherung, daß er zur Gänze in New York gedreht worden ist. Das
heißt, unmittelbar nach der Filmakademie hab ich diese Geschichte
mit einem kleinen, großteils amerikanischen Team in New York gedreht
und das war mein erster Film fürs Fernsehen.
Das Drehbuch war vorgegeben?
Nein, es war der Roman
als Vorlage da und ich habe das Drehbuch dazu geschrieben.
So war es ja später
auch bei "Schöne Tage"?
Ja, auch nach dem Roman
das Drehbuch geschrieben.
Relativ viele Literaturbearbeitungen?
Das hat sich damals
ergeben durch die Neigungen der Fernsehredaktionen, speziell der
Abteilung "Fernsehspiel". Das waren Wolfgang Ainberger,
der maßgeblichst hier aktiv war, Werner Swossil, Gerald Szyskowitz.
Diese drei Leute haben immer gewissen Wert auf Literaturverfilmungen
gelegt und so bin ich auch dazu gekommen. Sowohl bei diesem Gerhard
Roth-Film, den mir noch deren Vorgänger angeboten haben, zu denen
eben Hans Preiner und bereits Wolfgang Lorenz gehört haben.
Wie gestaltet sich
die Arbeit am Drehbuch nach einer literarischen Vorlage, zum Beispiel
bei "Schöne Tage"?
Ich habe Innerhofers
Roman sehr oft gelesen, sodaß ich ihn fast auswendig konnte. Und
dann habe ich ihn zur Seite gelegt, und zwar für immer. Dann habe
ich mit diesem, im Kopf existierenden Roman das Drehbuch geschrieben,
mit dem Prinzip, daß Literaturverfilmung für mich nie gelungen ist,
wenn sie sich buchstäblich an die Vorlage hält. Wenn man sich jetzt
an das hält, was im Roman steht, auch bezogen auf die Dialoge, wird
es grauenhaft und furchtbar. Letztendlich kam dann ein Drehbuch
raus, das auch von Innerhofer akzeptiert wurde, in dem ungefähr
ein Drittel der Szenen neu waren, die mit meiner eigenen Erfahrung
und Recherche zu tun hatten, und in dem trotzdem 70% dessen, was
im Drehbuch stand, seine Szenen waren. Manche etwas umgestaltet,
verdichtet, auch im Ablauf anders, anders gewichtet, dem Film gehörend.
Es wäre viel weniger Arbeit, einen Roman gekürzt als Drehbuch abzuschreiben,
als das ganze zu verinnerlichen, wie es aber immer notwendig ist,
wenns ein fremder Stoff ist, oder wenn man fotografiert, komponiert
oder Theaterstücke schreibt. Ein eigener Stoff kommt sowieso aus
dem Inneren, da braucht man sich keine Sorgen zu machen.
"Schöne Tage"
wurde ausschließlich mit Laien gedreht?
Ja. In "Schöne
Tage" gab es 50 Sprechrollen, die ausnahmslos mit Laien besetzt
waren. Sehr zum Schrecken des Co-Partners Sender Freies Berlin,
der gemeint hat, jetzt investieren wir so viel Geld und dann wird
mit Laien gedreht. Ich konnte mir bei "Schöne Tage" einfach
nicht vorstellen, Bauern mit Schauspielern zu besetzen. Das hab
ich nie oder ganz selten wirkungsvoll und glaubwürdig gesehen. Für
mich ist Bauer ein Stand, und nicht nur irgendein Beruf, so wie
König auch etwas besonderes ist.
Wenn Sie wissen,
daß Sie mit Laien drehen, ändert das auch das Schreiben?
Überhaupt nicht. Ich
hab da nie Rücksicht genommen, ganz im Gegenteil. Genauso wie ich
mir nie nur einen bestimmten Schauspieler vorstelle. Wenn ich diesen
Schauspieler schon einmal im Kopf hätte, dann würde ich unwillkürlich
Situationen und Szenen so schreiben wie ich sie ihm zutraue. Dadurch
versäume ich aber eine ganze Menge, denn der Schauspieler hat bisher
nur das gezeigt, was er zeigen konnte und kann möglicherweise noch
unvergleichlich mehr zeigen. Das heißt, ich verbanne beim Schreiben
die Besetzung vollkommen aus meinem Bewußtsein. Genauso nehme ich
nicht die geringste Rücksicht, daß eine Rolle zwangsläufig von einem
Laien gespielt wird.
Haben Sie gegenüber
den Redakteuren beim Drehbuch freie Hand gehabt oder wollten die
Einfluß auf die Bücher nehmen?
Immer freie Hand. Ich
weiß nicht, warum man sie mir gelassen hat, vielleicht weil ich
nie irgendjemanden die Möglichkeit geboten habe, sich einzumischen.
Es gab Hinweise, Empfehlungen, Ratschläge, gute und weniger gute
Gespräche. Es gab mit Wolfgang Ainberger und Werner Swossil interessante
Auseinandersetzungen und Diskussionen. Das waren in meiner Erinnerung
die einzigen, die sich auch die Mühe gemacht haben, sich mit den
Büchern entsprechend zu beschäftigen. Aber es gab kein einziges
Mal Druck, wo es geheißen hat, das müßte man ändern. Es gab zwei
oder drei hilflose und höchst untaugliche Versuche, einmal von einem
deutschen Redakteur, die eher ins Leere gelaufen sind. Ich mußte
nie auch nur eine Zeile ändern, es ist mir auch nie die Situation
untergekommen, wo ich unter Druck stand. Unter Druck stand ich immer
wieder in Verbindung mit der Tatsache, daß meine Drehbücher immer
länger waren als gefordert, die Schnittzeit, die man beim Drehen
ermittelt hat, zwangsläufig auch immer länger war, noch länger als
die noch längeren Drehbücher, und daß man gesagt hat, jetzt haben
wir eh schon so viel Material, brauchen wir das noch? Und dann wurde
bei "Schubert" einiges an Druck auf mich ausgeübt, und
der denkbar größte jetzt bei "Jedermanns Fest", der eine
2 ½ jährige extreme Konfliktsituation zwischen Produktion und mir
zur Folge hatte, die bis zum Prozeß gegangen ist. Letztendlich haben
wir das gedreht, was im Drehbuch steht. Uneingeschränkt.
Waren die Deutschen nicht gegenüber der österreichischen Sprache
skeptisch?
Selten.
Das ist heute ein
großes Problem.
Ja, finde ich schade.
Alles wird genormt nach einer Sprache, von der man meint, sie müßte
wirklich deutsch sein. Das Deutsche, das in Deutschland gesprochen
wird, ist ja voller Fehler, ist voll Unbeholfenheiten, gehört zum
Dümmsten überhaupt, wie man Deutsch sprechen kann. Man geht nicht
hoch, man geht auch nicht tief, man geht hinauf oder hinunter. Und
wenn sich dann liebe Kollegen aus Österreich dadurch beliebt machen
wollen, indem sie diesen deutschen Schwachsinn in österreichische
Drehbücher schreiben, dann mögen diese Leute früher oder später
einmal draufkommen, daß sie da einem nicht sehr geistreichen Herrn
gedient haben.
Diese ersten Fernsehfilme
sind relativ schnell gemacht worden. Dann sind die Pausen zwischen
den Filmen immer länger geworden...
Die Pausen wurden etwas
länger, weil die Projekte größer wurden. Ich habe zwischen 1976
und 1983 einen Film nach dem anderen gemacht. Nach "Der große
Horizont" kam ein einstündiger Filmessay über meine Heimatstadt
Freistadt, dann kam mein erster 90-Minuten-Spielfilm fürs Fernsehen,
"Edwards Film", weiters ein Film mit dem Titel "Der
Jagdgast", nach einem Originaldrehbuch von Gernot Wolfgruber.
Dann
in verschiedener Abfolge
die Pluch-Verfilmungen, "Das Dorf an der Grenze", "Schöne
Tage" (1980) und dann die etwas längere und umfangreichere
Arbeit an den drei Teilen Schubert. Nach "Schubert" hatte
ich wie Sie zu Recht sagen - eine ganz lange Distanz, 13
Jahre, bis ich wieder gedreht habe. Eine Zeit, die fast ausschließlich
mit Drehbuchschreiben ausgefüllt war. Ich habe ich mich umfassend
mit einem Stoff aus der Monarchie beschäftigt, und zwar der Payer-Weyprecht
Expedition, die zum Nordpol führen sollte, dort aber nie angekommen
ist. Dann hab ich mich viereinhalb Jahre in Verbindung mit einem
Auftrag durch einen amerikanischen Produzenten uneingeschränkt mit
Friedrich dem Großen beschäftigt, d.h. zwei Jahre lang Drehbuch
geschrieben und zweieinhalb Jahre vorbereitet. Das wäre eine sehr
kostenaufwendige Produktion, die noch nicht finanziert ist, und
alles überschreitet, was bisher im deutschen Sprachraum oder speziell
in Europa realisiert worden ist. Das braucht eben seine Zeit und
hat mir dadurch auch die Gelegenheit genommen, bestimmten Projekten,
die man mir angeboten hat, zuzusagen. Ich bin weit davon entfernt,
ein Drehbuchautor zu sein, der schreibt und darauf giert, endlich
drehen zu können, sondern der sich beim Schreiben unglaublich wohlfühlt.
Meine größten Glückszustände finden beim Schreiben statt, weil man
da am meisten kreieren kann.
Wann ist ein Drehbuch
fertig für Sie? Wieviele Fassungen haben Sie durchschnittlich gebraucht?
Nicht so viele. In
der Regel habe ich nach der Fassung, die ich abgebe eine oder höchstens
eine zweite Überarbeitung gemacht. Das hat damit zu tun, daß ich
mich so lange mit dem Drehbuch beschäftige, bevor ichs abgebe
(und das schon in der Zeit, die vertraglich vereinbart ist), daß
ich sagen kann, okay, das ist es. Ich halte nichts davon, jede Menge
Fassungen zu schreiben, hab allerdings im Hinblick auf Friedrich,
in Zusammenarbeit mit diesem amerikanischen Produzenten, an die
acht oder neun Fassungen verfasst. Hier ging es aber darum, von
einem ursprünglich 330seitigen Drehbuch auf 150, 160 Seiten zu kommen.
Das waren Verkürzungs- oder Verdichtungsarbeiten. Sonst möchte ich
schon die Erstfassung als Vorstufe zur sogenannten "Bibel"
sehen. Das heißt, nachdem ich die Reaktionen der Leute habe, überarbeite
ich das ganze, und das, was dann rauskommt, ist auch das, was für
alle verpflichtend ist. Auch für mich.
Wie lange dauert
bei Ihren Filmen die Arbeit am Drehbuch?
Meinen ersten 90 Minuten-Spielfilm,
"Edwards Film", hab ich in 22 Tagen oder etwa einem Monat
geschrieben, für "Schöne Tage" hab ich vier oder fünf
Monate gebraucht, für die drei Teile "Schubert" elf Monate,
für "Jedermanns Fest" acht Monate, für die Konzeption
bis zum 200-Seiten-Treatment für die Monarchie-Expedition zum Nordpol,
habe ich - glaube ich - elf Monate gebraucht, für "Der Baum"
- das sind fast fünf oder sechs Stunden Film - ein Jahr oder noch
länger, für "Friedrich" zwei Jahre.
Ich kann das aufgliedern: Wenn man davon ausgeht, daß die Arbeit
am Drehbuch ein Jahr dauert, bin ich, wenn's ein historischer Stoff
ist, oder ein solcher, wo's darum geht, zu recherchieren, drei bis
vier Monate mit den Recherchen beschäftigt, drei bis vier Monate
mit dem Suchen nach Charakteren, Ideen, Szenen, Situationen, Bildern,
Dialogen, Geschichten, Bögen und ähnlichen Elementen, weitere drei
Monate beansprucht das dramaturgische Zusammenfügen. Wenn das alles
drei Monate waren, sind wir bei neun Monaten, dann brauche ich noch
einen Monat, um der ganzen Sache den letzten Schliff zu geben, und
bis dahin habe ich auf die bereitliegenden Drehbuchseiten nicht
eine Zeile geschrieben. Ziel ist, bevor ich auch nur die erste Zeile
schreibe, den Film so genau vor mir zu sehen, daß ich das Drehbuch
nicht eigentlich schreibe, sondern ein Filmprotokoll verfasse. Das
heißt, ich sehe den Film ganz konkret vor mir. Ich habe alles fertig,
bis auf den Dialog. Den Dialog kenn ich vom Inhalt her, auch manche
Formulierungen. Ich klammere den Dialog ganz bewußt aus, aus dem
einfachen Grund, weil sonst das Schreiben des Filmprotokolls oder
Drehbuchs tödlich langweilig wäre. Das heißt, der Dialog ist das,
was mich täglich noch herausfordert. Wenn man wieder von einem Ein-Jahres-Modell
ausgeht, dauert das konkrete Schreiben zwei Monate, und einen Monat
nehm ich mich für Korrekturen als Reserve. Bevor ich das erste Bild
schreibe, kenne ich jede Szene schon ziemlich genau. Für mich ist
es auch ganz wichtig, daß ich den Schluß kenne und alles, was halt
dazwischen passiert. Ich erlaube mir hie und da noch eine Abweichung,
was aber eher selten passiert, weil ich mir auf eine bestimmte Weise
den Film so zu eigen mache, als würde ich bereits am Schneidetisch
damit arbeiten. Das, was im Schneideraum passiert, das Aneinanderfügen
von gedrehten Szenen, mache ich im Kopf mit einigen Hilfsmitteln,
bevor ich das Drehbuch aufzuschreiben beginne. Das heißt, ich kann
zu jeder Szene auf einem geistigen Schneidetisch hin- und herfahren.
Dadurch lerne ich den Stoff sehr genau kennen und auch dessen Schwächen,
Stärken und Lücken, usw. Ich schreib wirklich erst, wenn ich alles
drüber weiß.
Welche Hilfsmittel
gibt's da?
Ich kann das nur verknappt
formulieren, weil um das zu beschreiben, könnte ich ein Jahr drüber
reden. Im Prinzip hat es im weitesten Sinn mit dem, auch von manchen
Romanautoren benützten Zettelkasten zu tun. Das heißt, ich nütze
die Tatsache, daß Film aus vielen kleinen Elementen - Steinchen
eines Mosaiks - besteht, um beim Schreiben Karteikarten zu verwenden,
wobei ich bei "Schubert" 600 Karteikarten hatte, bei der
"Nordpol"-Geschichte 2000, bei "Jedermanns Fest"
3000, beim Baum warens 5000, und bei "Friedrich"
waren es 10000 Karteikarten.
Da stehen nicht nur dramaturgische Sachen drauf?
Da steht alles drauf,
was irgendwann einmal im Film vorkommt.
Alles, was man sieht,
was man hört, ...
... was filmisch darstellbar
ist. Auch solche Dinge, die man nicht dem Bild oder Ton zuordnet,
sondern wos um Atmosphäre geht, um das Zwischenreich, das
für mich das Entscheidendste ist. Das ist meine Arbeitsmethode,
entspricht auch meinem Ordnungssinn. Ich glaube, Film funktioniert
dann am besten, wenn das Chaos geordnet wird, aber immer wieder
das Chaos provoziert, zugelassen oder auch evoziert wird. Auch beim
Drehen macht es mir ganz große Freude, am Drehtag selbst noch etwas
umzustoßen und anders zu machen.
Daß man sich selber überraschen
kann?
Selbstverständlich. Vor allem die Produktion
(lacht)
Beim Drehen halten
Sie sich aber recht genau an das Drehbuch?
Nicht ganz genau, aber
ziemlich. Weil ich davon ausgehe, daß es von mir einmal richtig
gedacht war und ich es oft genug überprüft habe. Aber ich modifiziere
schon. Im Bereich von etwa 20 Prozent. Und zwar dann, wenn ein Schauplatz,
oder ein Schauspieler, oder eine Situation bessere Möglichkeiten
anbieten. Ich glaube, Voltaire hat gesagt, "das Bessere ist
der Feind des Guten". Und alles, was noch so gut war, wird
dann gnadenlos gekillt.
Wie ist es bei tausenden
Karteikarten möglich, den Überblick zu bewahren? Haben Sie ein Ordnungssystem?
Das Ordnungssystem
par excellence ist der Filmablauf. Das ist, wie wenn Sie eine Cutterin
fragen, wie es im Schneideraum möglich ist, den Überblick zu bewahren.
Das ist auch die Kombination von einem Logbuch, von einem Skript,
vom Drehbuch, von hunderten Dosen von vorhandenem Material, Ausschnitten,
Resten, einem Rohschnitt, und dem, was im Kopf der Cutterin gespeichert
ist. Und ich kann schon behaupten, alles gespeichert zu haben. Was
nicht gespeichert ist, ist auf der Karteikarte vorhanden, und die
nehme ich durch meine Arbeitsmethode zwangsläufig so oft in die
Hand, daß sie mehr und mehr auf der Festplatte in meinem Gehirn
gespeichert wird. Es hat auch damit zu tun, daß ich mich in die
Situation versetze, meine Geschichte und meinen Stoff mit den Verzweigungen
mir ist ja das Komplexe lieber als das Lineare , mehr
und mehr vollkommen intus habe. Ich muß es lernen.
Im Gegensatz zu
den Literaturverfilmungen ist "Jedermanns Fest" ein fiktiver
Stoff, der von Ihnen selbst gekommen ist. Wie ist der Stoff überhaupt
entstanden?
Vorweg muß ich einmal
sagen, daß "Der Baum", eine meiner umfangreichsten Geschichten
nach "Friedrich", auch fiktiv war. Da gehts um einen
Baum in einer Landschaft, daneben ist ein kleiner Teich und eine
kleine Kirche. Dort spielen vier Jahrhunderte. Ein Baum, der ein
längeres Leben als wir hat, und vieles in diesem Leben gesehen hat,
gibt also einen phantastischen Schauplatz ab. Da war alles fiktiv,
alles erfunden. Genauso ist bei "Jedermanns Fest" wirklich
alles erfunden, allerdings mit der Vorgabe, daß es diesen "Jedermann"-Stoff
nun einmal gibt. Die Idee, die eine einfache war, entstand in einem
Lokal um zwei Uhr früh. Ich hab mir überlegt, warum mach ich immer
Drehbücher und Filme über Leute, die mich faszinieren und interessieren,
warum mache ich nicht etwas, das mir sperriger vorkommt. Und ich
dachte nach: was interessiert mich überhaupt nicht? Die Lippizzaner
interessieren mich überhaupt nicht. Was noch? "Jedermann"
interessiert mich nicht. Und dann hab ich mir gedacht, warum eigentlich.
Nur weils der Salzburger "Jedermann" ist, wegen
dem Getue um die Buhlschaft, und das ganze Gekrächze um diese Veranstaltung,
die touristisch geworden ist und mit dem Ereignis nichts mehr zu
tun hat. Warum mache ich da keinen Film? Das war die eine Überlegung.
Die zweite, warum ich nicht, im Gegensatz zum Domplatz in Salzburg,
wo die Distanz vom Zuschauer zur Festtafel eine sehr große ist,
die Möglichkeit der Kamera nütze, um den Zuschauer direkt an die
Tafel zu setzen. Das heißt, den Figuren ganz nah zu sein, manchen
näher zu sein, als es der Gastgeber ist. Diese beiden Überlegungen
waren am Anfang, und dann habe ich mich mit dem Stoff beschäftigt.
Hofmannsthal hat für Salzburg aus fünf verschiedenen Vorlagen seinen
"Jedermann" geschrieben, sich am Anfang auch nur als Chronist
bezeichnet, da er selbst wenig eigenes eingebracht hat. Später,
wie der Erfolg groß geworden ist, hat er schon gemeint, er sei auch
der Dichter. "Jedermann" kommt aus dem Mittelalter, da
gibt es Quellen aus Sizilien, aus England mit dem ersten festgehaltenen
"Everyman". Es gibt weit über 100 Jedermann-Theaterstücke,
mit verschiedenen Interpretationen. Und immer wurde Jedermann als
Spiegel der Zeit betrachtet. Dadurch hat mich die Sache interessiert:
Wie geht heute jemand damit um, wenn er erfährt, daß er in drei
Stunden tot ist? Das war die Ausgangssituation und für alles andere
habe ich mir gestattet, es frei zu betrachten. Zwangsläufig sollte
es schon in der Gegenwart spielen, wenn es eine Spiegelfunktion
für unsere Zeit haben sollte, und so war die Idee ganz nebulos:
ein erfolgreicher, reicher Mann wird konfrontiert mit seinem eigenen
Tod in Verbindung mit einem Fest, das zu seinem Abschiedsfest wird.
Das ist noch die große Parallele zum "Jedermann"-Stoff
im allgemeinen. Das habe ich verschiedenen Leuten angeboten, damals
noch dem Szyskowitz vom ORF, dann Volker Schlöndorff von den Babelsberg-Studios
und noch Ainberger vom Wiener Filmförderungsfonds, und da gabs
großes Interesse und so ist es zustande gekommen.
Dann hab ich mich zwangsläufig
mit der historischen Basis des Stoffes beschäftigt und einige Jedermann-Stücke
gelesen, auch den Salzburger "Jedermann", von manchen
Inspirationen bekommen, von manchen nicht. Ich wollte einiges an
Elementen beibehalten, nämlich, gibts eine Vergebung, gibts
eine Katharsis, gibts eine Beichte oder gibts eine Läuterung
oder nicht, usw. Mein Jedermann hat keine Läuterung, keine Katharsis,
der stirbt so, wie er gelebt hat, er macht aus seinem Tod noch ein
Geschäft. Das war die Absicht und so ist die Entscheidung für das
Milieu der Modebranche sehr schnell gekommen. Kaum sonstwo haben
Krankheit, Alter oder Tod so wenig Platz wie in der Modebranche.
Es hätte aber auch in der Fernsehwelt spielen können oder Jedermann
hätte ein Schönheitschirurg sein können. Es ist auch kein Film über
Mode, es ist nur das Milieu, in dem sich Jedermann mehr oder weniger
erfolgreich entfaltet.
Kennen Sie dieses
Milieu?
Ich habs kennengelernt
durch meine Recherchen.
Sind Sie da zu Veranstaltungen
gegangen?
Jaja. Es gibt auch
jede Menge Dokumentationen, auf Video gibt es unzählige Sachen,
mit denen ich mich beschäftigt habe. Zum Teil mit Vergnügen, zum
Teil mit Langeweile, weil es auch etwas extrem Oberflächliches ist,
aber dahinter stecken zwangsläufig Menschen, und die sind wieder
interessant. Aber auch die Modebranche ist interessant. Wenn man
da Zusammenhänge herstellen kann oder begreift, daß zum Beispiel
diese Shows ja überhaupt nicht mehr den Zweck haben, bestimmte Kreationen
an gut situierte Leute anzubringen. Da gibt es Kleider, die kosten
200.000 oder 300.000 Schilling. Das ist nicht das Entscheidende.
Entscheidend ist, wo die Show stattfindet, wie spekakulär dieser
Schauplatz ist und welche Mädels diese Fetzen tragen. Das wird enstprechend
oft publiziert und dann wird halt immer wieder der Name damit verbunden:
ob das Armani ist, oder dieser und jener. Das heißt, es kommt darauf
an, dem Namen ein bestimmtes Image zu geben, ihn wie eine Gottheit
hochzuhalten und zu beweihräuchern. Dieser Vorgang dient letztendlich
einem Zweck: daß in Fernost gigantische Unternehmen damit beschäftigt
sind, Massenware zu erzeugen, auf die dann Armani oder irgendwas
draufkommt, und das Zeugs hängt dann in den riesigen Kaufhäusern
in der ganzen Welt, und wird dort, weil Armani draufsteht, gekauft.
Das ist die Industrie. Die Kreationen der einzelnen sind vollkommen
sekundär. Das sind interessante Dinge. Und auch die totale Ausklammerung
des Alters. Allein in meiner Zeit des Schreibens, Vorbereitens und
Drehens, der Prozeßsituation und des Weiterdrehens, sind die Models
auf den Laufstegen immer jünger geworden. Am Anfang waren die Models
so 21,22, beim Vorbereiten des Films waren sie 18, inzwischen sind
sie 16 und 14.
Ist die Hauptfigur, der Modeschöpfer Jan Jedermann, ein Produkt
dieses Archetypus des Jedermann, der über die Jahrhunderte immer
wieder auftaucht oder haben Sie da wirklich ein Vorbild aus der
Wirklichkeit?
Nein, das ist immer
archetypisch. Bei allen Figuren. Nicht bezogen auf die Jahrhunderte
sondern das, was Menschsein überhaupt ausmacht. Wie verhält
sich jemand, wenn es gut geht, wie gestört fühlt er sich, wenns
ihm nicht mehr gut geht. Wie stirbt jemand?... Wenn man die Gelegenheit
hat, den eigenen Tod zu erleben, was ja nicht sehr wünschenswert
ist, zumindest glaubt das unsere Gesellschaft, dann stirbt man so,
wie man gelebt hat. Also entweder wird man damit fertig und bewältigt
es oder man verzweifelt daran. So wie man im Leben ja auch mit den
Dingen fertig wird oder auch nicht. Es steht für überhaupt keine
Figur eine Person, die mir in der Realität bekannt wäre. Alle Models,
die im Film vorkommen, sind bewußt ohne Eigencharakter. Das sind
sozusagen die Blumen, mit denen sich Jedermann umgibt.
In ihrem Drehbuch
verstehen sich die Models selbst nur als Produkte?
Manche schon, die durchauens
nicht. So wie in allen Bereichen. Natürlich hat mich die Eiseskälte
interessiert, mit der einem Erfolg nachgegangen wird. Zum Beispiel
bei dieser 16jährigen Cocaine, die nur ein Ziel hat: mit ihrer Schönheit
und Ausstrahlung und der Wirkung auf Männer etwas zu erreichen.
Das trifft man heute immer wieder an. So, wie der Tod in der Gesellschaft
nie so sehr verdrängt geworden ist wie heute, ist auch das Streben
nach Erfolg heute größer als jemals zuvor. Nämlich als Norm. Leute
machen sich todunglücklich, weil sie glauben, sie müssen erfolgreich
sein. Sie beziehen ihren Wert nur aus dem täglichen Erfolg und Tun,
und nicht mehr aus der eigenen Persönlichkeit. Für mein Gefühl sind
das schlimme Entwicklungen.
Eine nicht ganz unwichtige Sache zum Drehbuch und Film "Jedermanns
Fest": Ich hab bei allen meinen Drehbüchern immer sehr klare
Geschichten gehabt. Bei "Jedermanns Fest" gings
mir um etwas anderes. Ich habe bei diesem Buch versucht - und es
scheint nach den ersten Rohschnittvorführungen zu funktionieren
-, daß ich nicht eine linear ablaufende Geschichte erzähle, sondern
es gibt vier verschiedene Ebenen oder Möglichkeiten, wie man die
Geschichte sehen kann:
Die erste ist, Jedermann
verunglückt mit dem Ferrari, und in den Sekunden des Sterbens erlebt
er das, was der Zuschauer auch im Film sieht. Die zweite Möglichkeit
ist, er stürzt in diesen Teich bei der Raffinerie und in den Stunden
des Sterbens, das sind 24 Stunden oder noch länger, erlebt er das,
was der Zuschauer im ganzen Film sieht, das Fest, usw. In der dritten
Möglichkeit, der "metaphysischen", vereinbart er mit seinem
Tod, das ist der Hund am Teich, daß er diese Nacht noch zum Fest
darf und am Morgen zurückkommt, um den Tod einzulösen. Die vierte
Möglichkeit: alles, was für den Zuschauer vor dem Unfall im Teich
sichtbar war, ist nichts anderes als der vorhergesehene Selbstmord.
Und zwar angesichts der Tatsache, daß er durch seine Show, die der
großen Modeschöpferin Yvonne Becker nicht gefallen hat, als König
gestürzt ist und keine Bedeutung mehr hat.
Meine Intention war
es, daß alle diese vier Möglichkeiten dramaturgisch funktionieren
müssen. Ich kann wirklich alles daraufhin überprüfen. Der Zuschauer,
der ja durch ein bestimmtes Leben geprägt ist, Neigungen und Sehweisen
hat, wird sich für eine dieser vier Möglichkeiten entscheiden. Oder
auch mischen, zumindest beim Film.
Wann haben Sie eigentlich
den Schluß gehabt?
Ich hab etwa acht Monate
für das Drehbuch gebraucht, also werde ich ihn innerhalb der ersten
zwei, drei Monate gehabt haben. Der Schluß ist für mich immer sehr
entscheidend. Der Schluß ist ganz entscheidend. Es ist schrecklich,
wenn ein Film abstürzt, der davor vieles verspricht und dann nicht
einhalten kann. Es muß deswegen nicht jeder Schluß allen Zuschauern
gefallen, es kann auch Ärger geben oder Ablehnung, das ist was anderes.
Nur glaube ich, man soll sich mit dem Schluß mehr beschäftigen und
eben nicht in Hinblick auf Erschöpfung kreieren. Das heißt, am Anfang
alles und alles und alles und dann stürzt die Linie ab. Ich bin
dafür, sich mit dem letzten Drittel eines Films sehr zu beschäftigen.
Wenn Sie schreiben,
wie schreiben Sie? Wie lange zum Beispiel?
Das ist sehr genormt geregelt. An fünf Tagen in der Woche. Von
14 Uhr bis 16 Uhr, 20 Uhr, 24 Uhr, ganz gleich. Ich beginne ungefähr
um 14 Uhr ...
Was machen Sie am
Vormittag?
Na ja, ich geh meistens
um vier oder fünf Uhr in der Früh ins Bett, also gehört noch ein
Teil des Vormittags dem Schlaf, und dann nach dem Aufwachen, dem
Sich-Ordnen und Zurechtfinden und Vorbereiten auf die Arbeit, ist
ungefähr 14 Uhr der Beginn. Ich kann nicht sagen, wie lang ich arbeiten
werde, deswegen, weil ich nicht sage, so und so viel Stunden muß
ich arbeiten, sondern ich muß an diesem Tag an die 30 Karteikarten
oder sechs Drehbuchseiten geschrieben haben. Bei "Jedermann"
war das zum Beispiel so.
Das ist eine disziplinarische
Vorgabe?
Ja, egal, wie lange
ich brauche. Wenn ich das in zwei Stunden geschafft habe, habe ich
frei. Und wenn ichs in acht Stunden nicht geschafft habe,
bleibe ich so lange sitzen, bis ichs schaffe, ... und wenn
ich 14 Stunden dabei sitze. Das ist vollkommen unabhängig. Ich hab
keine Tage, wo ich sage, heute ist die Muse nicht bereit, mich zu
küssen, drum mache ich blau. Es kommen auch Tage vor, an denen wirklich
nichts zustande kommt, allerdings meistens mit dem Resultat, daß
am nächsten Tag ein Doppeltes an Ergebnis rausschaut. Und es gibt
auch Situationen, in denen mir in sieben, acht Stunden nichts einfällt,
und in der neunten Stunde alles passiert.
Sind während der
Arbeit auch Selbstzweifel vorhanden?
Nicht sehr ausgeprägt.
Was immer wieder vorkommt, ist der Gedanke, wie gut der Tag davor
war beim Schreiben. Ich bin dann unruhig, ob ichs heute wieder
schaffe. So als würde einen die Potenz wieder verlassen können.
Damit rechne ich jeden Tag. Das heißt, ich kann einen Stoff noch
so gut vorbereitet haben, es kann trotzdem dazu kommen, daß ich
es nicht schaffe, ihn zu Papier zu bringen. Wenn mich etwa die Fähigkeit
verläßt, Sätze zu formulieren oder Bilder zu beschreiben. Wenn ich
sehr viel gearbeitet habe, kann es sein, daß ich sehr blockiert
bin, daß ich mich im Kreis drehe. Das heißt also, ich bin wahnsinnig
angespannt vor Arbeitsbeginn, nicht zugänglich, aggressiv. Ich schließ
mich dann vollkommen ab und rechne halt damit, daß dieser Tag daneben
gehen kann. Von 40 Arbeitstagen geht einer daneben, also bewege
ich mich in dem Bereich von 2,5 Prozent. Die anderen gelingen, nur
diese 2,5 Prozent des Mißlingens genügen mir, jeden Tag das Gefühl
zu haben, heute könnte einer sein, der daneben geht. Das erzeugt
auch eine gewisse Spannung, die mir sehr hilft. Ich verwende natürlich
sehr stark das Rituelle, von Kaffee und Teetrinken bis Zigarettenrauchen
in bestimmter Abfolge, Schreiben von Karteikarten mit einem bestimmten
Füller, etc. Oft denke ich zehn Minuten vor dem Schreiben, heute
kann ich nicht. Dann unternehme ich vor 14 Uhr eine Fülle von Fluchtversuchen.
Der Herr in mir ist aber so streng, daß der Knecht in mir immer
gehorcht. Die Fluchtversuche entstehen gar nicht so richtig, und
dann fang ich halt an, den Computer zu starten, die Datei aufzumachen,
den ersten Satz zu schreiben, und wenn ich das gemacht hab, ist
der Bann gebrochen. Wie der Schauspieler auf der Bühne. Vorher hat
er Lampenfieber, dann geht er raus, sagt den ersten Satz und es
läuft. Und dabei hilft mir schon eine Fülle von banalen Dingen,
das eigenartige Klappern der Tastatur, deren angenehmes Gefühl auf
den Fingern ...
Das Haptische?
Ja, natürlich, das
macht sehr viel aus. Und auch der Füller. Oder auch, wann ich eine
Zigarette anzünde und wie ich sie anzünde. Ich schließ mich auch
beim Schreiben und Arbeiten vollkommen ab, das heißt ...
... keine Anrufe?
Nichts, nichts. Vollkommen
undenkbar. Ich ziehe auch im Sommer Rollos vor, verwende zum Teil
Ohropax. Ich blende die Umwelt vollkommen weg, damit ich zu meinen
Figuren und meiner Geschichte komme. Ich arbeite auch verschieden
mit Musik (wo ich übrigens kein Ohropax verwende), ich hab da einige
Methoden entwickelt, vor allem in den Phasen des Ideensuchens und
findens.
Beim Schreiben selber
nicht?
Beim Schreiben, beim Protokollieren nicht. Da brauche ich nur
Ruhe. Wenn ich mit dem Schreiben fertig bin, brauche ich etwa zwei
Stunden zum Auftauen. Ich bin zwei Stunden höchst irritiert, finde
mich schwer zurecht, bin für Mitmenschen ein Problem. Weil ich angespannt
bin, aggressiv.
Es gibt Autoren,
die stimulieren sich durch Alkohol oder andere Drogen ...
Ich überhaupt nicht.
Ich hab es ein-, zweimal versucht vor 25 Jahren und dann Dinge geschrieben,
die mir beim Schreiben sehr gut gefallen haben und im nachhinein
unerträglich waren. Was ich manchmal mache, in Verbindung mit In-der-Nacht-unterwegs-sein
und etwas trinken, ist das Notieren von Ideen. Das kommt schon vor.
Aber die Ideen, bei denen ich schon etwas mehr getrunken habe, werden
letztendlich immer banaler. Also beim Schreiben nicht einen Schluck,
auch beim Drehen nicht. Nach dem Drehen, wenn ich weiß, am nächsten
Tag ist drehfrei, dann trinke ich ganz gern etwas. Aber kein Schluck
während des Drehens. Ich verlier die Kontrolle in dem Maß, wie ich
sie brauche. Die Kontrolle beim Schreiben muß eine extrem hochkonzentrierte
sein. Was Ideen und Rhythmus betrifft. Alles, was alkoholisiert,
hilft im Augenblick und macht Mittelmaß zu etwas Besonderem, und
das hält dann nicht stand.
Nutzt Ihnen im Arbeitsprozeß das Wissen um die Dramaturgie, leitet
sie das, oder sind das immer noch Instinkt und Intuition, die vorrangig
sind?
Es ist beides. Ich
glaube, Drehbuchschreiben ist einer der aufregendsten Berufe schlechthin,
und sicherlich der Beruf des nächsten Jahrtausends bezogen auf das,
was man literarisch festhalten kann. Was Jahrtausende hindurch die
Theaterautoren und Dichter waren, werden mehr oder weniger
die Drehbuchautoren sein. Ich habe ja auch schon vor der
Akademie Drehbücher geschrieben, und das ist eine Sache, für die
ich mindestens zehn Jahre gebraucht habe, um sie wenigstens einigermaßen
zu begreifen. Ich denke, daß ich 15 Jahre immer wieder Drehbücher
geschrieben habe, um mehr und mehr draufzukommen, zu erfahren und
zu begreifen. Für mich ist Drehbuchschreiben eine Symbiose aus Theorie,
die wirklich verewigt sein muß und aus dem Instinktiven, dem Befinden,
dem Suchen, dem Sich-Aufmachen-Können, dem Empfinden, dem Erkämpfen
und Abtrotzen. So lang man von Dramaturgie nur theoretisch lernt,
hat es keinerlei Wert. Es muß einem in Fleisch und Blut übergegangen
sein, sodaß man die Anwendung nicht mehr intellektuell darstellt.
Es gibt Leute, die
vertreten die Meinung, daß man, wenn man zu viel über Dramaturgie
weiß, es immer schwieriger wird, Geschichten zu schreiben.
Das kann sein. Ich
bin anderer Meinung.
Es sei deshalb schwieriger,
weil man immer kritischer wird.
Na, umso besser. Dann
kommen vielleicht bessere Drehbücher raus. Das Unkritische ist eh
der Fluch unserer Zeit, daß das Mittelmaß also Bestand hat. Ich
glaub, man kann, ganz gleich über welchen Beruf, ob das Malerei
ist oder Drehbuchschreiben oder tausend andere Bereiche, der des
Schusters, oder des Kochs, über das, was an Möglichkeiten besteht,
nie genug wissen. Weil man ja nicht alles benützt. Wenn ich noch
mehr weiß über Dramaturgie, fallen mir erstens noch mehr Geschichten
ein, die sich dadurch eröffnen, und ich kann das, was ich an Geschichten
erzählen möchte, besser erzählen.
Aus meiner Sicht ist
es natürlich wichtig, daß man sich an diese Regeln nicht sklavisch
hält, sondern sie andauernd bricht. Nicht aus Trotz bricht, sondern
um weiterzukommen. Die Musik des 17. oder 18. Jahrhunderts zum Beispiel,
die sich an bestimmte Regeln gehalten hatte, war eine grandiose,
hätte sich aber nicht weiterentwickelt, wären diese Regeln nicht
immer wieder gebrochen worden. Bis hin zur Barockmusik, Musik des
Biedermeiers oder Zwölftonmusik. Das ist immer wieder notwendig.
Film ist nur zu einem kleinen Bruchteil erkannt. Kurosawa hat
ich glaube bei der Oscar-Verleihung für sein Lebenswerk - gesagt,
er ist immer noch ein Lernender. Und er versteht so vieles von Film
nicht. Und da hat er recht. Einer der ganz großen Meister, der wirklich
souverän mit dem Medium umgeht, weiß natürlich, daß erst ein Bruchteil
des ganzen angenagt ist. Insgesamt tritt Film jämmerlich auf der
Stelle, indem nur das Handwerkliche begriffen und angewandt wird.
Das Suchen nach neuen Ufern wird total vernachlässigt. Vor 25 Jahren
war im italienischen, französischen, englischen Film noch viel mehr
Intention, formal und inhaltlich immer wieder neue Bereiche zu erschließen.
Das kommt heute rudimentär immer noch vor, aber nicht in dem Ausmaß,
wies einmal war. Weil die Industrie eben zu mächtig ist und
alles, was von der Norm abweicht, ein Störfaktor ist.
Haben Sie das Gefühl,
Drehbuchschreiben ist eine Form der Literatur?
Es ist möglicherweise
eine Form der Literatur, was auch nicht immer gut ist. Ich halte
es eher für problematisch. Andererseits benütze ich auch das sogenannte
Literarische fürs Drehbuchschreiben, um den Mitarbeitern möglichst
plastisch vorzuführen, was gedreht werden wird, damit sie daraufhin
eigene Ideen entwickeln und darauf aufbauen können. Ich glaube,
je anschaulicher ein Drehbuch ist, und dazu dient halt auch das
Mittel des Literarischen mit seiner oft sehr einfachen, oft banalen,
plakativen und pathetischen Sprache, umso mehr können die Leute,
nachdem sie sich nach dem Lesen das Grundsätzliche vorstellen können,
eigene Dingen einbringen, weiterentwickeln und darauf aufbauen.
Was glauben Sie,
wieviele Leute Drehbücher lesen können?
Die allerwenigsten.
Das ist das größte Problem. Von jenen, die es professionell tun
müßten, würde ich zwei, drei aus meinem Bekanntenkreis nennen. Produzenten
traue ich nicht zu, daß sie nur einen Bruchteil der Vorstellungskraft
haben, um zu erkennen, was in einem Drehbuch angedeutet wird. Das
ist das größte Problem der nicht-verfilmten Drehbücher, daß ein
Drehbuch nur so gut ist wie der Leser, der es in Bilder umzusetzen
imstande ist. Und daran scheitert es. Am leichtesten lesen die reihenweis
vorhandenen Dummköpfe in der Branche jene Drehbücher, die sie schon
von irgendwoher kennen. Das heißt, die genormten. Und so werden
sie auch geschrieben. Das heißt, ein Film, der die Geschichte nach
dem Strickmuster "zwei glatt, zwei verkehrt" erzählt,
wird es unvergleichlich leichter haben, realisiert zu werden.
Gibt es Genres,
die Sie noch nicht versucht haben...?
Ja, jede Menge...
... und die Sie
reizen? Zum Beispiel Komödien?
Na ja, darum bemühen
sich ja eh jede Menge Kollegen. Reizt mich am wenigsten, weil da
ein Überangebot besteht. Ich glaub zwar, daß "Friedrich"
in manchen Teilen komödiantisch ist, aber eine Komödie reizt mich
nicht, weil sich die Leute rundum die Beine ausreißen, nur damit
sie lustig sind und viele Zuschauer haben. Der ganze deutsche Film
ist voll von Komödien, bei denen es mir ganz selten gelingt, auch
zu lachen, obwohl das unter Umständen deren Zweck wäre.
Was würde Sie interessieren, das Sie noch nicht ausprobiert haben?
Der Grenzbereich. Dort,
wo es um Dinge geht, die durch den Roman, das Theater nicht faßbar
sind, wo der Film das einzige Medium ist, etwas zu erzählen. Ich
will nicht einen Film zu schreiben, der, wenn man ihn einmal gesehen
hat, damit erschöpft ist. Mich reizt der Film, den man öfter sehen
und Dinge entdecken kann, die man vorher nicht bemerkt hat, die
dann wieder einen neuen Sinn ergeben. Ich suche für meine eigene
Arbeit den Film, der noch in 10, 15, 20 Jahren gespielt werden kann,
durch die Thematik, durch die Form oder was immer. Ich bin weit
davon entfernt, sogenannte moderne Formen zu suchen oder zu wollen,
oder dem Mainstream zu gehorchen, das ist mir ein Greuel schlechthin.
Bei "Jedermanns
Fest" hat es durch einen Streit zwischen dem Produzenten und
Ihnen zweieinhalb Jahre Drehpause gegeben, wo's eigentlich "nur"
darum ging, das Drehbuch 1:1 zu verfilmen...
Nicht unbedingt 1:1.
Wir haben damals, im Dezember 96, in einer Situation unterbrochen,
in der ein Viertel des Drehbuchs überhaupt noch nicht verfilmt war.
Ursprünglich hat die Produktion gesagt, wir würden drei Monate später
weiterdrehen, und das wurde dem Team auch offiziell mitgeteilt,
dann hat's geheißen, na ja, wir haben kein Geld, wir brauchen eh
nix mehr drehen, man soll aus dem vorhandenen Material einen Film
schneiden. Das halte ich für kriminell...
Das heißt, nicht nur
der gesamte Jenseits-Bereich mit Maria und Jurek, sondern auch der
Unfall und der Schluß mit Sophie waren noch nicht gedreht, und nach
Ansicht des Produzenten hätte das genügt, um einen Film draus zu
schneiden. Den hätte man aber wegwerfen können, weil er keinen Sinn
ergibt, weil er wesentlicher Dinge beraubt worden wäre. Der Produktion
wär's egal gewesen, weil das Hauptziel ist ja Subventionen zu kassieren
und was mit dem Film passiert ist wirklich sekundär. Das ist die
Krankheit des deutschsprachigen und österreichischen Films. Es wird
alles aufgewendet, um zu drehen, natürlich weil da Geld fließt,
das man dann dazu verwendet, daß Firmen am Leben erhalten werden
und die Branche scheinbar existiert. Das, was letztendlich mit den
Filmen passiert, ist sehr bezeichnend, daß nämlich Verwertung oder
Verleih, Auswertung, Betreuung oder Pflege eines Films kaum stattfindet.
Viele, auch gute Filme, landen dann irgendwo und kommen kaum noch
ans Licht. Bei manchen ist es ganz gut so, aber manche sind unverdient
in der Schublade. Und dieses Denken nur bis zur Premiere ist ein
tödliches. Der amerikanische Film ist uns in dieser Hinsicht weit
überlegen. Nicht, daß sie jetzt bessere Filme machen ich
halte den europäischen Film für unvergleichlich interessanter
aber sie sind uns millionenfach überlegen im Bereich des Verwertens.
Da könnten wir von ihnen lernen.
Rein logistisch,
wie war die Drehzeit geplant?
Ursprünglich auf elf
Wochen, wir haben dann zwölf Wochen im Herbst 1996 gedreht, und
waren aus verschiedenen Gründen noch immer nicht fertig. Dafür bin
sicher auch ich verantwortlich, dazu hab ich mich immer bekannt,
aber auch natürlich in ganz großem Ausmaß die Produktion, die geglaubt
hat, das ganze würde schon irgendwie gehen, und dann hab ich aus
dem noch zu drehenden Viertel ein "Notprogramm" gemacht
mit einem Zeitraum von drei Drehwochen. Und diese drei Drehwochen
haben wir fast zweieinhalb Jahre danach, im Frühling 1999, realisiert.
Es gab also für diese Drehzeit eine neue neutrale Herstellungsleitung,
einen neuen Produktionsleiter, das war der Auftrag der Geldgeber.
Es war eine phantastische Drehzeit. In Zusammenarbeit mit diesem
neuen Produktionsteam haben wir in diesen drei Wochen, vollkommen
im Budget bleibend, in der Drehzeit bleibend, trotz Wetterproblemen,
die ganze Sache realisiert.
Wieviel hat der Film jetzt gekostet?
Rund 70 Millionen.
Sprechen Sie mit dem Produzenten
noch?
Ja, wir geben uns die
Hand. Ich hoffe sehr, daß jetzt das Gelingen des Films dazu beiträgt,
daß er wieder in das Boot kommt, in dem er als Produzent sein müßte.
Vielleicht wirds auch eine Situation, wo man kaum noch miteinander
spricht, vielleicht wirds wieder Gespräche geben. Das ist
in der Filmbranche oft wie in Beziehungen, daß Leute sehr gerne
zusammen waren, dann haben sie sich in die Haare gekriegt, haben
sich getrennt, und nach fünf Jahren treffen sie einander wieder
und sind wieder ein Herz und eine Seele. Ich kann mir das im Augenblick
überhaupt nicht vorstellen, aber auch bei Liebschaften kann man
sich nicht vorstellen mit einem Partner, von dem man sich enttäuscht
fühlt, wieder einmal zusammen zu sein. Trotzdem kann man es nicht
ausschließen.
Sie haben jetzt
zweieinhalb Jahre Drehpause gehabt. Ganz profan gefragt, was macht
man in der Zwischenzeit?
Ich war voll damit
beschäftigt, alles zu unternehmen, um die Fortsetzung der Dreharbeiten
zu ermöglichen. Ich hab zwei Jahre hindurch etwa 500 Seiten Briefe
geschrieben, habe zwei Rechtsanwälte gehabt, die mir geholfen haben.
Ich hab vorher nie mit Gerichten oder Rechtsanwälten zu tun gehabt,
jetzt in vollem Ausmaß. Ich hab wegen meiner nicht bezahlten Gehälter
prozessiert, und hab danach alles eingeleitet, um den Urheberrechtsprozeß
zu gewinnen. Der Produzent hat gesagt, wenn ich nicht bereit bin,
meinen Film, von dem ein Viertel noch nicht gedreht ist, mit dem
vorhandenen Material fertigzustellen, dann wird er das machen. Damit
war die Voraussetzung gegeben, daß er als Produzent in ein Drehbuch
eingreift, von dem er von sich aus erklärt, ein Viertel zu kürzen.
Er hat danach ohne mein Wissen auch noch zwei Drehtage
gemacht, so Pseudodrehs, und das war für mich der Grund, ihn zu
klagen. Und zum Prozeß ist es deswegen nicht gekommen, weil er gemerkt
hat, daß er verlieren wird, und dann haben sich die Geldgeber bereit
erklärt, Geld zu investieren, und das war die Voraussetzung
und da muß man den Geldgebern auch sehr dankbar sein daß
dann alles, was unabdingbar war, gedreht werden konnte. Jetzt ist
der Film in Berlin und wird dort geschnitten. Ich pendle jetzt immer
hin und her, der Film wird auch wie es von Drehbeginn an
geplant war in den Babelsberg Studios zur Gänze synchronisiert,
er bekommt einen Vollsynchronton, so wie "Schubert" auch.
Ist das jetzt wirklich umgesetzt worden, was im Drehbuch steht?
Ja. Mit den 20%, die
weggelassen sind, gekürzt oder anders gemacht wurden. 70 bis 80%
sind da, manches ist schwächer geworden als im Drehbuch, das werde
ich auch entsprechend im Schnitt berücksichtigen, kürzen und verknappen,
und manches ist besser geworden. Es hält das Maß, in dem ich mich
immer bewegt habe. Die Traurigkeit darüber, was man nicht geschafft
hat, wird ein bißchen wettgemacht über die Zufriedenheit über das,
was besser geworden ist.
Ist das "Friedrich"-Projekt noch aktuell?
Das wird nach wie
vor von dem Produzenten, Martin Rosen, betrieben. Er hat mir vor
ein paar Tagen geschrieben, daß er bereits insgesamt 500.000 Dollar
in das Projekt investiert hat, das sind 6 Millionen Schilling. Das
steht einem Projekt dieser Größenordnung auch zu. Unser Übereinkommen
ist das: entweder machen wir es so wie geschrieben, mit der entsprechenden
Größe einer Figur wie Friedrich, oder überhaupt nicht. Das Geld,
das dafür notwendig ist, ist einfach so viel, daß niemand sagen
kann, ob der Film realisiert werden wird oder nicht.
Wie hoch ist er
etwa kalkuliert?
Das ändert sich immer.
Ich kann mir vorstellen, im untersten Bereich sind es etwa 300 Millionen
Schilling. Das ist eher Selbstbetrug, weil damit wird man nicht
auskommen.
Sie haben 13 Jahre
lang keinen Film gedreht. Konnten Sie von den Drehbuchaufträgen
leben?
Ja. Dadurch, daß ich
in dieser Zeit Drehbücher geschrieben habe, die hochdotiert waren,
eben in Verbindung mit dieser amerikanischen Produktion, aber auch
weiteren gut bezahlten Drehbüchern, so wie es der Funktion des Drehbuchautors
auch zusteht. Ich glaube überhaupt, daß ein gigantisches Mißverhältnis
besteht in der Bezahlung der Leute, die Filme machen. Ich halte
den Drehbuchautor für den am weitesten Unterbezahlten. Das ist höchst
ungerecht, denn wenn er nicht ein Buch schreibt, das gut ist, entsteht
auch kein guter Film. Ich halte Schauspieler für weit überbezahlt,
ich halte Regisseure manchmal für halbwegs ausreichend bezahlt.
Das heißt, die Honorare für Drehbuchautoren müssen gewaltig angehoben
werden, ich würde sagen, verfünft bis verzehnfacht, damit dieser
Beruf, der für gute Filme unabdingbar ist, auch höher bewertet wird.
Da ist vieles nachzuholen. Ich hab davon leben können, indem ich
meine monatlichen Kosten überschaubar gehalten habe und nichts ins
Gigantische laufen ließ. Das heißt, ich konnte mich einigermaßen
einschränken. Es ist aber nie eine Einschränkung gewesen, die ich
negativ erlebt habe, sondern ein Luxus, den ich jetzt seit 25 Jahren
oder noch länger pflege, nämlich bisher nie auch nur eine Zeile
geschrieben oder einen Kader gedreht zu haben, den ich nicht auch
gerne gedreht hätte, wenn ich nichts dafür bekommen hätte. Ich hab
noch nie fürs Geld allein einen Handgriff getan, was Film betrifft.
Diesen Luxus möchte ich mir behalten.
Schreiben Sie im
Moment an etwas?
Ich habe einige Projekte,
aber ich schreibe im Moment nicht. Ich bin jetzt mit dem Schnitt
beschäftigt. Ich bin immer sehr monogam, das ist auch ein Nachteil.
Das heißt, ich arbeite nicht parallel an zwei, drei anderen Dingen,
sondern mache nur die eine Sache. Wenn ich jetzt am Schnitt von
"Jedermanns Fest" arbeite, habe ich natürlich immer wieder
Gedanken an andere Projekte, die sich auf diese Weise halt langsam
entwickeln. Aber es ist nie so, daß ich parallel an einem anderen
Drehbuch schreibe, habe ich noch nie gemacht. Das hat den großen
Nachteil, daß, wenn ein Film fertig war, ich dagestanden bin und
kein neues Projekt hatte.
Wie lange wird der Schnitt dauern?
Der Schnitt wird ca. 4 ½ Monate dauern und dann etwa fünf Monate
Tongestaltung. Im Frühling nächsten Jahres soll "Jedermanns
Fest" fertig sein.
Dann
wünsche ich Ihnen alles Gute, viel Erfolg und danke für das Gespräch.
FILMOGRAPHIE
Der große Horizont
(A, 1976) Drehbuch:
F.L., n.d. Roman v. Gerhard Roth
mit Rudolf Jusits, Carl Moebius,
Linda Geiser
Edwards Film
(A, 1977) Drehbuch:
F.L.
mit Vera Tschechowa, Gottfried
John, Marika Adam
Sprachgestört
(A, 1977) Drehbuch:
Franz Xaver Hofer
"Geschichten aus Österreich"
Der Jagdgast
(A/D 1978) Drehbuch:
Gernot Wolfgruber
mit Wolfram Berger, Erika
Mottl, Jaromir Borek
Das Dorf
an der Grenze (3 Teile)
(A/D/CH 1979/82/83)
Drehbuch: Thomas Pluch
mit Manfred Lukas-Luderer,
Wolfgang Gasser, Stefania Droic
Schöne Tage
(A/D/CH 1981) Drehbuch:
F.L. ., n.d. Roman v. Franz Innerhofer
mit Andreas Umnig, Martin
Fritz, Johann Woschitz
Mit meinen heißen Tränen
(3 Teile)
(A/D/CH 1986) Drehbuch:
F.L.
mit Udo Samel, Daniel Olbrychski,
Gabriel Barylli
Notturno / Mit meinen heißen
Tränen
(A/D 1986/88) Kinoversion
Jedermanns Fest
(A/D/F 1996/99) Drehbuch:
F.L.
mit Klaus Maria Brandauer,
Juliette Greco
(Quelle:
Egon Netenjakob, TV-Filmlexikon)
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