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AUTOR UND REGISSEUR

"Jemand hat mich gefragt: ‘Ist es wichtig, daß ein Regisseur schreibt?’, ‘Nicht sehr’, sage ich, ‘wichtig ist, daß er lesen kann!" hat Billy Wilder einmal erzählt.1 Und faßt damit die wichtigste Voraussetzung zusammen, die eine fruchtbare Arbeit zwischen Regisseur und Drehbuchautor erst möglich macht. Daß sich ein Regisseur auf einen Text einläßt, darüber hinaus die emotionale Idee des Autors aufspürt und schließlich umsetzt.


Wie schon beim Produzenten, liegt die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Regisseur und Autor bei dem, der branchenintern die wichtigerere Position inne hat. Und das ist nun einmal der Regisseur. "Es gibt ja zwei Schrecken für Regisseure", analysiert es Ernst Hinterberger im Interview, "die einen [Autoren] schreiben überhaupt nur Dialoge und die anderen schreiben einen Roman. Das mag der Regisseur auch nicht, weil er dann sagt, dann kannst ja du Regie führen." Damit ist ein allzu menschlicher Aspekt in der Beziehung zwischen Regisseur und Autor bereits angesprochen: die Konkurrenz zwischen den zwei wichtigsten kreativen Beteiligten der Verfilmung eines Stoffes. Natürlich läßt jeder Drehbuchautor, der das Schreiben am Buch ernst nimmt, sehr wohl gestalterische Aspekte in seine Arbeit einfließen. Es passiert aber selten, daß ein Regisseur beim Erfolg eines Films auf den Beitrag des Drehbuchautors verweist. Vittorio de Sica hat zum Zeitpunkt seines größten Ruhmes gesagt, daß er nie etwas machen hätte können, wenn nicht neben ihm ein anderer Mensch gestanden wäre, der Cesare Zavattini geheißen hat.2 Es gibt heute sehr wenige Regisseure, die so über ihre Drehbuchautoren sprechen.

Josef von Sternberg zum Beispiel sprach vom Drehbuch als einem notwendigen Übel, auf dem ein Film basieren müsse: "Um Kapital zu bekommen, muß ein Manuskript vorgelegt werden. Darin liegt bereits eine Täuschung. Der Film hat sein eigenes Vokabular, das den Worten auf dem Papier nicht ähnelt. Worte können kein Bild beschreiben, vor allem kein sich bewegendes Bild, und zwei Menschen können sich eine Vision nicht in der gleichen oder auch nur ähnlichen Form vorstellen."3

Für einen Formalisten wie Sergej Eisenstein war das Drehbuch "lediglich das Stenogramm eines emotionalen Ausbruchs, der nach Inkarnation in einer Fülle visueller Bilder strebt. (...) Der Autor prägt mit seinen Mitteln im Szenarium den Rhythmus der Konzeption. Dann kommt der Regisseur und überträgt den Rhythmus dieser Konzeption in seine Sprache, in Filmsprache; er findet ein filmkünstlerisches Äquivalent für eine literarische Manifestation."4 Das Drehbuch ist für ihn nicht mehr als ein "Warenverzeichnis", eine Chiffre, die in einen anderen Zustand transponiert werden müsse.

Auch wenn sich ein Regisseur treu an das Drehbuch hält, kommt es vor, daß Autoren ihre Stoffe nicht wiedererkennen. Der amerikanische Autor Ben Maddow berichtet, daß es eine der entsetzlichsten Erfahrungen ist, wenn man die Atmosphäre, die man durch den Text vermitteln wollte, im Film nicht vorfindet : "Das Schreiben am Drehbuch gleicht einem Tagtraum. Was man sich nur vorstellen kann, steht nicht am Papier, es ist in deinem Kopf verborgen. Nun nimmt jemand anderer das Buch und inszeniert es, und du hörst die Worte, die du geschrieben hast. Aber das ‚Dazwischen‘ ist anders als du es dir vorgestellt hast. Die Bewegungen, die Figuren, die Schauplätze, die Gesichter, sogar die Maske - alles ist anders."5

Um dieser Gefahr auszuweichen, gibt es Beispiele in der Filmgeschichte, in der sich der Autor von vornherein in die epische Grundform zurückgezogen hat und dann mit dem Regisseur gemeinsam das Drehbuch mit allen gestalterischen Details verfaßt hat. The Third Man entstand daraus, indem Graham Greene vom Produzenten, Alexander Korda, nahelegt wurde, einen Filmstoff über das Europa der Nachkriegszeit zu schreiben. Greene fuhr im Winter 1948 zu Recherchen nach Wien und erfuhr dort zufällig von Penicillin-Schiebereien. Schließlich schrieb er den Roman "Der dritte Mann", der nur dazu gedacht war, "gesehen, und nicht gelesen zu werden" (Greene), da "Charakterisierung, Stimmung und Atmosphäre in der öden Kurzschrift des Drehbuchs nicht verfügbar seien"6. Also ging er nach Fertigstellung der Erzählung daran, mit Regisseur Carol Reed (und Korda) das Drehbuch zu verfassen und war auch später bei den Dreharbeiten des Films anwesend. Aus dieser intensiven Zusammenarbeit zwischen Autor und Regisseur, die sicherlich eine bemerkenswerte Ausnahme bildet, entstand nicht nur ein Film, der als "Klassiker" bezeichnet werden kann, sondern verband auch die Beteiligten gegen die Änderungswünsche des amerikanischen Co-Produzenten David O. Selznick, der eine Änderung des Titels anstrebte, wobei ihm so etwas Nights In Vienna vorschwebte.7

Es ist traurig, nach so einem Fall, wieder nach Österreich zurückzuschwenken. Hierzulande ist es üblich, daß ein Drehbuch zum Regisseur kommt, der gleich einmal ändern will, oft ohne daß der Autor davon in Kenntnis gesetzt wird. Ein Fallbeispiel findet sich in dem Interview mit Ernst Hinterberger, der über seine Erfahrungen mit Reinhard Schwabenitzky berichtet. In den besseren Fällen sitzen Regisseur und Autor an einem Tisch, sprechen die Änderungen durch und bringen sie auf Papier. Nicht nur in Österreich, aber ganz besonders in Österreich, ist die Bearbeitungsrate besonders hoch. Walter Wippersberg weist in seinem Interview mit Ivo Schneider darauf hin, warum das so ist: "Es gibt für Drehbücher ein Wiederholungshonorar, nicht aber für Regie. Auch die Literar-Mechana-Zahlungen sind sehr angenehm. Das ist der wirkliche Grund, warum alle Regisseure in den letzten Jahren meinen, sie müßten bearbeiten." 8

Es gibt Filmschaffende, die sich erst als Autoren profilieren, und dann nach vielen Enttäuschungen beschließen, selbst Regisseur zu werden. Francis Ford Coppola ist so ein Fall. Zweimal, 1970 für Patton und 1972 für The Godfather, erhielt er einen Oscar für das beste Drehbuch. 1973 adaptierte er Scott Fitzgeralds Roman The Great Gatsby, der schließlich von dem Briten Jack Clayton verfilmt wurde. Das erste, das der Regisseur tat, war, das Drehbuch Truman Capote zur Überarbeitung zu geben, der aus dem Liebespaar des Romans zwei getrennte homosexuelle Charaktere machte, was wiederum das Studio ablehnte. Daraufhin schrieb Clayton das Buch selbst um, kürzte es und ... landete einen Flop. Coppola hat ihm nie verziehen, "Clayton hat den Anfang verändert, die Mitte und das Ende" (Coppola)9, für sein nächstes Drehbuchprojekt, die Verfilmung von Joseph Conrads Roman Herz der Finsternis, das schließlich in die Zeit des Vietnamkriegs transformiert wurde, hatte der Autor Coppola eine andere Wahl: den Regisseur Coppola. Der Film hieß schließlich Apocalypse Now.10

 

 Fußnoten:

1 Billy, how did you do it", TV-Interview mit Billy Wilder, geführt von Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek, Teil IV
2 Gustav Ernst [Hg.]: Autorenfilm – Filmautoren, Wien 1996, S.62
3 Jochen Brunow: Erzählen in Bildern, in: Ernst, Gustav / Pluch, Thomas [Hg.]: Drehbuch schreiben - eine Bestandsaufnahme. Wien, Zürich, 1990, S. 23f
4
Sergej Eisenstein: Schriften, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Hans-Joachim Schlegel, München 1973, S.31 f.
5   Interview with Ben Maddow. In: Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 2, Interviews with Screenwriters of the 1940s and 1950s, Berkely 1991, S.173
6 Graham Greene: Preface zu The Third Man/The Fallen Idol, Harmondsworth 1985 [Erstausgabe 1950], S.9, zitiert in: Gottfried Schröder: Abstieg ins Dunkel "The Third Man", In: Franz-Josef Albersmeier, Volker Roloff [Hg.]: Literaturverfilmungen, Frankfurt am Main 1989, S.260
7  ibid. (Literaturverfilmungen) S.268
8 Hanns-Ivo Schneider: Denn sie wissen, was sie tun – erfolgreiche Drehbuchautoren in Österreich, HSfMD, Wien, Abt. Film & Fernsehen, WS 1998, S.55
9  Francis Ford Coppola. Biographie. München 1985, S.52
10  Franz-Josef Albersmeier, Volker Roloff [Hg.]: Literaturverfilmungen, Frankfurt am Main 1989, S.337

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