AUTOR
UND SCHAUSPIELER
Schauspieler sind diejenigen, über
die sich die Zuschauer eines Films mit den Figuren identifizieren.
Die Qualität eines Films definiert sich beim Massenpublikum über
die Beliebtheit und Gefragtheit eines Schauspielers, sei es wegen
seiner darstellerischen Qualität, seines Gesichts oder irgendeines
anderen Körperteiles. Das geht sogar soweit, daß mitunter die Urheberschaft
eines Films gedankenlos einem Schauspieler übertragen wird (z.B.
"Hast schon in neuen Film vom Bruce Willis gesehen?").
Kein Wunder also, daß sich Schauspieler selbst als die universalsten
und größten Künstler des Film sehen, zumindest auf eine Stufe mit
dem Regisseur stellen, und weit höher als der Drehbuchautor. Autoren
empfinden es als Kränkung, wenn Schauspielergesichter in Zeitschriften
abgebildet werden, aber über den, der ihre Texte schreibt, sich
keine Zeile findet. Bela Balázs fragte in Der sichtbare Mensch
(1930) bereits: "Geschieht hier ein Unrecht, das nur auf
die Reklame zurückzuführen ist? Nein. Auch die größte Reklame kann
nur dann nachhaltig wirken, wenn sie auf vorhandenes Interesse gegründet
ist. Die Sache ist eben die, daß Regisseure und Schauspieler die
eigentlichen Dichter des Films sind."1
Da Schauspieler also kreative Gottheiten sind, ist es für sie ein
Kinderspiel, jede andere Kunst auszuüben. Viele Schauspieler sind
nebenher Maler, Bildhauer, Regisseure, Fotografen oder Töpfer. So
ist es nicht zu verhindern, daß Schauspieler auch schreiben. Damit
werden sie zu potentiellen Feinden des Autors und des von ihm verfaßten
Drehbuchs.
Aber auch wenn Schauspieler nicht schreiben,
können sie zu den großen Veränderungen, die einem Drehbuch bis zum
Drehstart zugefügt werden, beitragen. Schauspieler lesen prinzipiell
einmal ihre eigene Rolle und lassen alles andere außer Acht, und
so befinden sie nicht selten, daß der Charakter zu wenig ausgearbeitet
sei, noch viel tiefere Einblicke in seine Seele gestatten müßte,
die Figur also auch viel mehr sprechen müßte, was letztendlich auf
eine Forderung hinausläuft: mehr Text! Nun könnte natürlich der
Autor zum Produzenten sagen: "Werfen Sie den Kerl sofort raus!",
doch wenn der Schauspieler eine zehnmal höhere Gage als der Autor
bekommt, kann mans leicht haben, daß der Meister das Drehbuch
gleich umschreibt und man selbst draußen ist. Kommt aber eher selten
vor, was nicht heißen soll, in dieser Hinsicht nicht auf der Hut
zu sein.
In der Regel versucht man den Schauspieler höflich auf die großartige
Präsenz seiner Rolle aufmerksam zu machen und weitet diese um zwei
Halbsätze aus.
Wenn man als Autor in den Produktionsprozeß
eingebunden ist, ist die Phase, in der Schauspieler die Drehbücher
angeboten bekommen, immer noch eine der interessantesten. Kaum sonst
wird man in so kurzer Zeit mit derart unterschiedlichen Reaktionen
konfrontiert werden. Es gibt Begeisterungskundgebungen und Ablehnungen,
man hört, daß im Drehbuch nicht ein Buchstabe geändert werden soll,
andere finden es von der ersten bis zur letzten Seite miserabel.
Profis legen eine gesunde Skepsis an den Tag und verlauten, daß
sie unter Umständen zu bewegen wären, die zugedachte, wenngleich
schwache Rolle zu spielen, vorausgesetzt, daß die Gage wesentlich
erhöht werde. Patrick Süskind hat alles Weitere, das Umgarnen eines
Schauspielers so beschrieben: "Man muß mit ihm zum Abendessen
gehen und ihn bereden und ihn betun und bestreicheln und ihm wortreich
erklären, daß von so profanen Dingen wie der Gage einmal
völlig abgesehen die Rolle ihm, dem Schauspieler, wie auf
den Leib geschneidert passe, daß die Autoren schon von der ersten
Zeile an, nein, bereits zuvor, bei dem Entwurf der Rolle nur ihn,
den Schauspieler, im Sinn gehabt hätten und keinen anderen, daß
nur ihm die Rolle zugedacht und zugeschrieben sei, in jedem
Punkt und Komma, und daß infolgedessen die geringste Änderung kein
Mehr, sondern ein Weniger, vor allem jede Aufblähung in Wahrheit
Substanzverlust bedeuten müsse, eine gräßliche Verstümmelung, die
das Gelingen des gesamten Filmes in Frage stelle, da unter
uns gesagt die besagte Rolle, so wie sie sei, doch die bei
weitem dominante was heißt da dominant! -, die himmelhoch
überragende und, von den Autoren durchaus so beabsichtigt, alle
anderen Rollen in den Schatten stellende Haupt-, Zentral- und Schlüsselrolle
sei, eine Herausforderung, gewiß, ein filmpreisverdächtiger Höllenparforceritt
von Rolle, die nur von einem Großen, und zwar einem ganz Großen
bemeistert werden könne; wo aber seien sie denn, die Großen, die
das Zeug zu einer solchen Gigantenrolle hätten? Wo? Es gebe sie
nicht. Es gebe nur ihn, ihn allein, den Schauspieler.
Weshalb er, und wäre es für Gotteslohn, die Rolle einfach spielen
müsse, denn andernfalls Hand aufs Herz finde der Film
nicht statt." Freilich kommt diese mühevolle Aufgabe des
Umspinnens und Umgarnens weniger dem Autor, als dem Regisseur oder
Produzenten zu, was vielleicht auch besser ist, wie Süskind ergänzt:
"Nicht, daß er [der Autor] gegen diesen oder jenen Schauspieler
speziell etwas einzuwenden hätte, oder gegen diesen mehr als gegen
jenen. Nein, gegen alle hat er etwas einzuwenden, gegen die Tatsache
überhaupt und prinzipiell, daß ausgedachte Figuren sich in Rollen
verwandeln, daß Rollen besetzt werden müssen, daß Schauspieler diese
Rollen besetzen, das heißt für sich in Besitz nehmen und okkupieren,
und daß damit etwas anderes ein für allemal okkupiert und in Besitz
genommen wird: die eigene Phantasie nämlich durch die festumrissene
Erscheinung eines fremden Menschen." 2
Von den hier interviewten Autoren berichtete
besonders Ernst Hinterberger erschöpfend über Erfahrungen mit und
Einmischungen durch Schauspieler. Sicher auch deshalb, weil die
Serie dem Schauspieler am langanhaltendsten die Möglichkeit gibt,
eine Figur zu verändern. Wie unterschiedlich die Wahrnehmung und
letztendliche Darstellung einer Figur sein kann, zeigt die Geschichte
vom Ende des "Mundl". Hinterberger berichtete, daß diese
Fernsehserie an Karl Merkatz zerbrochen wäre. Dieser hätte immer
größeren Einfluß auf die Bücher genommen, sodaß die Figur immer
lauter und ausfälliger wurde, während Hinterbergers "Mundl"
selbstgefälliger war, weniger schimpfte als Diagnosen stellte. Karl
Merkatz, der ja aus Salzburg kommt, sieht das anders. Ich hatte
einmal die Gelegenheit, ihn darauf anzusprechen, worauf er meinte,
er habe den "Mundl" schon verändert, denn in der Vorlage
sei er derart "aggressiv und ordinär" gewesen, daß es
nur ihm zu verdanken war, daß die Figur "menschlich" wurde,
ein "Familienmensch", wie sich Merkatz ausdrückte.
Nachdem hier so abfällig von Schauspielern
die Rede war, muß allerdings hervorgehoben werden, daß Schauspieler
auch Dialoge verbessern können. Es gibt tatsächlich Dialogtexte,
die sich brillant lesen, aber schließlich nicht zum Typ des Darstellers
passen. Hier verstehen es gute Schauspieler, den Dialog in "ihre"
Sprache zu bringen, ohne den Sinn des Texts zu entstellen. Autoren
sind natürlich empfindlich, wenn ein Text verändert wird, und sei
es auch nur ein Wort. "Autoren sind sehr an ihren Text gebunden,
weil in den Worten ihre Vision liegt", sagt Billy Bob Thornton,
"zum Rüstzeug eines Schauspielers gehört aber die Improvisation,
mit Dingen zu spielen und sie zu verändern, dem eigenen Gefühl zu
folgen. Schreiber sind in dieser Hinsicht etwas rigid." 3
Thornton ist ein sogenannter Writer/Actor, der in seinem Film Sling
Blade (1997) nicht nur die Regie führte und Hauptdarsteller
war, sondern auch das Drehbuch schrieb. Für letzteres erhielt er
auch den Oscar.
Fußnoten:
1
Bela Balázs: Der sichtbare Mensch, In: Film und Theorie, Reclams,
S. 232
2
Patrick Süskind: "Film ist Krieg, mein Freund"
Über einige Schwierigkeiten beim Drehbuchschreiben; im Anhang an
"Rossini", Drehbuch, Zürich, 1997, S. 207
3
Zorianna Kit: But what I really want to do is write, In: "Written
By", WGA Magazine, 8/97, pg.15
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