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DER AUTOR AM SET

 

 Rudolf Arnheim forderte in "Film als Kunst" den Autor in die Produktion des Films miteinzubeziehen: "Man öffne ihm (dem Autor) die Tür des Ateliers und versuche, ob er sich mit dem Regisseur verträgt und also sein Kompagnon sein kann. Oder man lasse den Regisseur sein Drehbuch allein schreiben."1

Diese Forderung war illusorisch. Der Drehbuchautor ist nur selten der Kompagnon des Regisseurs, nachdem das, was der Drehbuchautor abliefert, bestenfalls als Vorlage dient. In der Regel findet man den Drehbuchautor am Set nur, wenn er selbst der Regisseur ist.

Früher sah man das noch anders. Hollywood-Schreiber der 50er Jahre hatten ihre Büros und Wohnungen in Studionähe und sollten während der Drehzeit erreichbar sein. Der Drehbuchautor von Verdammt in alle Ewigkeit (1953), Daniel Taradash, war nicht nur ständig bei den Dreharbeiten anwesend, er war auch an der Auswahl des Regisseurs Fred Zinnemann beteiligt und arbeitete am gut durchdachten Casting-Programm mit, das mit Schauspielern wie Montgomery Clift, Frank Sinatra, Burt Lancaster und Deborah Kerr sehr viel zum künstlerischen Erfolg dieses Klassikers beigetragen hatte.
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Ein besonderer Fall, wie es den Autor ans Set verschlagen kann, ist, daß er im Film mitspielt. Natürlich gibt es Autoren, die sich ihre Hauptrollen selber schreiben, wie es in Hollywood gang und gäbe ist. Bei uns werden Autoren, wenn sie schon einmal am Set sind, gerne als Kleindarsteller und Statisten eingesetzt. Meist kostenlos. Das war nicht immer so. Anton Kuh zum Beispiel, der auch Drehbücher schrieb 3, wertete seine Drehbuchgage durch eine Reihe von Kleinstrollen in dem von ihm geschriebenem Stummfilm Maria Stuart auf: "Ich ziehe mich wie ein roter Faden durch dieses Kinostück, in dem ich gleichwohl bloß eine verschwindende Episodenfigur spiele. Die Ursache: von Emil Jannings bis zu Anton Kuh wird der Filmdarsteller pro Aufnahmetag bezahlt. Der Regisseur, in Kenntnis meiner Wirtschaftslage, zerteilte meine darstellerischen Funktionen. Bei einbrechender Dämmerung hatte ich mich ‘ins Bild‘ zu stellen. Als ich die Hand zur ersten Gebärde erhob, wurde die Arbeit abgepfiffen. Also mußte ich tags darauf wieder hinaus (= Mark ....). Eines Tages war ich unbeschäftigt und stand im Zivilkleid neben dem Regisseur; man drehte gerade eine Szene, wie der schottische Adel der Königin seine Aufwartung macht. ‚Sie sind so traurig. Was haben Sie?‘ fragte mich Herr Feher. – ‚Kein Geld‘, war meine bündige Antwort. Darauf er: ‚Ziehen Sie sich die Kutte an, und führen Sie die Schotten zu Maria.‘ Man wird die Bedeutung meiner Episodenrollen allmählich ermessen."4,

Der Regelfall ist allerdings, daß der erste Drehtag spätestens der letzte Arbeitstag des Autors ist. Die meisten Autoren haben mit ihrer Geschichte abgeschlossen, arbeiten mitunter an neuen Stoffen und wollen auch gar nicht aufs Set gehen, weil sie sich dort langweilen oder deplaziert fühlen. Felix Mitterer: " Ich geh nicht zu Dreharbeiten. Beim Dreh gibt es immer wieder Sachen, die der Regisseur wegschmeißt oder ändert. Als Autor steht man bei Dreharbeiten nur in der Gegend herum. Wenn man nicht mitarbeitet, hat man ja beim Film das Gefühl, es geht überhaupt nichts weiter. Man ist überflüssig."5 Auch im Schatten des Regisseurs zu stehen, des großen Meisters und Genies, ist für Autoren nicht so leicht zu ertragen. Ennio Flaiano, der Fellinis beste Filme schrieb, machte das Drehen immer krank, da Fellini am Set immer so tat, als würde er in diesem Augenblick alles selbst erfinden.6

 Dennoch verschlägt es Autoren immer wieder punktuell aufs Set, getrieben von der Neugier, die Antwort auf die Frage sucht, ob das Vertrauen, das man dem Regisseur geschenkt hat, auch nicht enttäuscht worden ist. Man kann also positiv motiviert werden, enttäuscht oder auch getäuscht werden. Ernst Hinterberger: " Einmal war ich dort [Anm.: "Ein echter Wiener geht nicht unter"], da haben sie eine Szene aus dem Drehbuch gespielt, die war dann nie im Film drinnen. Die haben sie nur gespielt, weil sie gesagt haben: der Hinterberger ist da, drehen wir das runter."

Schauspieler und Mitarbeiter begegnen dem Autor am Set meist höflich, doch zurückhaltend, weil man weiß, daß er eigentlich ziemlich unnütz hier ist. Es gibt aber auch Fälle, in denen Schauspieler und Regisseur hilflos herumstehen, und zwar, wenn sie nicht verstehen, was der Autor geschrieben hat. Da wäre guter (Autoren-) Rat teuer. Als Howard Hawks Chandlers The Big Sleep verfilmte, kam es zu einer großen Ratlosigkeit, als Humphrey Bogart plötzlich die Frage aufwarf, wer nun eigentlich den Chauffeur Owen Taylor umgebracht hat. Von den Drehbuchautoren war Leigh Brackett am Set, die aber mußte zugeben, es nicht zu wissen. Man kontaktierte Co-Drehbuchautor William Faulkner, aber auch dieser wußte nicht weiter. Schließlich wurde ein Telegramm an den Originalautor geschickt: "Wer hat Owen Taylor umgebracht?" Raymond Chandlers telegrafische Antwort: "Keine Ahnung!" 7

Stewart Stern, der Drehbuchautor von Denn sie wissen nicht, was sie tun ging schon einmal deshalb nicht ans Set, weil sich Nicholas Ray als Orginalautor der Story ausgab, wiewohl Stern die ganze Schreibarbeit leistete. Er respektierte aber das Verhältnis zwischen Regisseur und Schauspielern und sah es als konkurrierende Einmischung an, sollte der Autor am Set seine eigene Meinung kundtun: "Die Nerven der Schauspieler sind ja bloßgelegt. Es wird von ihnen dauernd gefordert, daß sie sich offenbaren, ohne daß sie sich vorbereiten können. Beim Drehen kommt es darauf an, daß sie Dinge enthüllen, die sie keinem anderen Menschen anvertrauen würden. Dieses Vertrauen zwischen Regisseur und Schauspieler zu stören, ist sehr, sehr gefährlich...und das ist der Grund, warum Autoren von jeher nicht so willkommen am Set sind. Der Autor hat Macht, auch wenn er nur stumm in einer dunklen Ecke steht und sich die Hände vors Gesicht hält ... das demoralisiert und verunsichert die Schauspieler und kann sie für den Rest der Produktion vom Regisseur wieder abnabeln."
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Fußnoten:

1   Arnheim, Rudolf: Film als Kunst (1932), Frankfurt 1979, S.223
2 Interview with Daniel Taradash. In: Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 2, Interviews with Screenwriters of the 1940s and 1950s, Berkely 1991, S.231
3 Kuh schrieb das Drehbuch unter anderem zu Maria Stuart (D 1928, Regie: Leopold Jeßner, Co-Regie: Friedrich Feher) und zu Räubersymphonie (England 1936, Regie: Friedrich Feher)
4  Anton Kuh, Prager Tagblatt, 1.1.1928: Der Leibarzt Maria Stuarts, In: Sekundentriumph und Katzenjammer, Wien 1994, S.95
5  Hanns-Ivo Schneider: Denn sie wissen, was sie tun – erfolgreiche Drehbuchautoren in Österreich, HSfMD, Wien, Abt. Film & Fernsehen, WS 1998
6 Interview mit Suso Cecchi D’Amico, in Gustav Ernst (Hg.): Autorenfilm-Filmautoren, Wien 1996
7  Interview with Leigh Brackett. In: Pat McGilligan, a.a.o. S.17f.
8 Interview with Stewart Stern. In: Pat McGilligan a.a.o, S.288

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