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DER AUTOR ZWISCHEN FERNSEHEN UND KINO

In den späten 60er Jahren hat hierzulande die Kinobegeisterung plötzlich nachgelassen. Mit der Ausrufung des Tod des Kinos und der Durchsetzung des Fernsehens als führendes Unterhaltungs-, Kultur- und Informationsmedium hat sich auch das Berufsfeld des Drehbuchautors einschneidend verändert. Das Schreiben von Fernsehstücken war angesichts der deutschsprachigen Kinoproduktionen jener Zeit, die sich zwischen Boulevardkomödie und Soft-Sexfilm bewegte, die einzige Überlebensmöglichkeit für einen seriösen Autor. Das österreichische Fernsehspiel der frühen sechziger Jahre, das teilweise sogar live übertragen wurde und sich eher als ein "Theater auf dem Bildschirm" verstand, wandelte sich Ende der Sechziger Jahre zur filmischen Auseinandersetzung mit Österreichs Geschichte und seiner zeitgenössischen Literatur. "Der österreichische Film findet im ORF statt", verkündete Gerd Bacher in den 70ern, und dies hatte damals wohl seine Gültigkeit. Ähnlich wie in den 60er Jahren ist heute - nur mit anderen Vorzeichen - eine weitere Umbruchsituation eingetreten. Neue Medien drängen auf den Markt und damit auch neue Unterhaltungsformen. Und: auch das Kino ist wieder ernst zu nehmen. Beim Fernsehen reagiert man unterschiedlich. Im Falle des ORF hängt sich die Unterhaltungsabteilung an die Verfolgung von Serien- und Filmformaten der Privaten und ist auch hin und wieder an anspruchsvollen Filmen beteiligt, während sich die Abteilung "Fernsehfilm" neuerdings verstärkt an jenem Weg orientiert, der in den 70er und 80er Jahren eingeschlagen wurde: Qualitätsvolle Fernsehfilme mit Österreich-Bezug und Literaturadaptionen.

Allerdings: die Bedingungen sind nicht mehr dieselben. Der ORF verliert mehr und mehr sein Monopol, ist dem stärkeren Druck einer gewandelten Freizeitgesellschaft ausgeliefert, und hat - last but not least - nicht mehr die innovativen Köpfe in seinen Reihen. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß die goldenen Zeiten der Abteilung "Fernsehspiel" vorbei sind. Die damals leitenden Redakteure Kehlmann, Szyskowitz und Swossil standen für den geglückten Neuversuch des österreichischen Films, oder besser gesagt für die Identifikation (und den Ärger) des Österreichers mit seinem Fernsehspiel. Mutige Redakteure wie Hans Preiner und Wolfgang Ainberger nutzten die Zusammenarbeit mit Autoren und Regisseuren, um neue Formen zu schaffen, die mittlerweile "Fernsehgeschichte" sind: "Ein echter Wiener geht nicht unter", "Kottan", "Alpensaga", etc. Zudem war der ORF aktiv auf der Suche nach Autoren. Aus einem 1976 unter dem Titel "Geschichten aus Österreich" veranstalteten Drehbuchwettbewerb gingen aus den einzelnen Bundesländern zum Beispiel Felix Mitterer in Tirol, Michael Köhlmeier in Vorarlberg oder Reinhard P. Gruber in der Steiermark als Gewinner hervor. Junge Regisseure wie Dieter Berner, Käthe Kratz und Fritz Lehner bekamen Gelegenheit, ihre ersten Filme zu drehen.

Der Drehbuchwettbewerb "Drehbuch 2000" der Unterhaltungsabteilung, sowie die gerade laufende Kooperation der Abt. Fernsehfilm mit der Drehbuchklasse der Filmakademie zum Thema "Literaturverfilmung" könnte eine Rückbesinnung auf diese goldene Ära sein. Es wird sich zeigen, ob diese Bemühungen Früchte tragen oder ob sie – wie einige Versuche zuvor – reine Alibihandlungen bleiben. Drehbuchschreiben (und Überleben) bleibt auf jeden Fall spannend.

 

Das Ende des Fernsehens?

Die Auguren wurden Lügen gestraft: das Kino ist nicht gestorben, sondern erlebte in den 90er Jahren einen unvergleichlichen Boom. Menschen zwischen 14 und 29, die man als Video- und Computergeneration zu bezeichnen versucht war, bilden heute das Gros des Kinopublikums (ca. 70%1). Der "böse amerikanische Film", in unseren Breiten erkennbar in Form von riesigen, kommerziell orientierten Kinoketten, hat unter anderem auch dafür gesorgt, daß die Bereitschaft Kino als Freizeitmöglichkeit zu nutzen, gestiegen ist, somit auch dem österreichischen Film ein breiteres (jugendliches Publikum) beschert. Will man bösartig sein, könnte man auch sagen, der Kinoboom ist auf das immer schlechter gewordene Fernsehen zurückzuführen.

Film als Ausgangsmaterial wird so schnell nicht verschwinden, das hat schon einmal haptische Gründe: Filmstudenten, die schließlich in der Industrie eine gewisse Rolle
einnehmen werden, greifen schon während der Ausbildung lieber zur Filmkamera als zur Videokamera. Film ist das schönere Spielzeug, man kann ihn fühlen, riechen, angreifen. Vor die Wahl gestellt, und die finanziellen Belange außer acht lassend, werden neun von zehn Filmstudenten eher zur ARRI als zur Betacam greifen. Natürlich ermöglicht Video und Computertechnik viele erweiterte Möglichkeiten in der begleitenden Produktion, vor allem in der Nachbearbeitung. Aber das Ausgangsmaterial ist immer noch Film, und das Kopiermaterial ist schon wieder Film.

Daß dies dem Konsumenten egal sein wird, glaube ich nicht. Kino ist und bleibt eine Faszination, ein Gemeinschaftserlebnis. Was leider verschwinden wird ist das Licht, das der Projektor auf die Leinwand projiziert. Dieses metaphysische Ereignis, das fiat lux des 20.Jahrhunderts, können chipgenerierte Projektoren, wie sie bereits in den USA eingesetzt werden, nicht bieten. Doch das gemeinschaftliche und dabei zugleich einsame Erlebnis in dem dunklen Raum wird bleiben.

Warum sind dennoch die meisten Autoren aufs Fernsehen fixiert und sehen es als Non-plus-ultra an, einen ORF-Auftrag zu erlangen? Es liegt wohl in der verfahrenen Situation des österreichischen Kinofilms, in der weder Produzenten noch Verleiher sich im Vorfeld genaue Gedanken über ihr Zielpublikum machen. Der Konsument von österreichischen Kinofilmen hat tatsächlich nur eine kleine Auswahlmöglichkeit: Auf der einen Seite gibt es die hausbackenen "fast perfekten" Boulevardkomödien, deren Zielpublikum jenseits der 40 zu finden ist, auf der anderen Seite einige wenige künstlerische Spielfilme und anspruchsvolle Dokumentarfilme, deren Publikum sich aus der Minderheit von Studenten und Cineasten zusammensetzt.

Der österreichische Kinofilm tritt vielleicht deswegen auf der Stelle, weil er nur für ein Nischenpublikum produziert wird. Der Fernsehfilm wird wiederum für die breite Masse hergestellt, die allerdings altersmäßig genau über dem Kinopublikum liegt (35-65 Jahre). So entstehen also jede Menge Stoffe für dieses Zielpublikum, das mit dem Gewohnten, Nicht-Provokativen, Althergebrachten bedient werden will. Glauben zumindest die Redakteure. Für junge Fernsehautoren ist das furchtbar: sie schreiben für alte Leute, für ihre Elterngeneration, um genau zu sein. Robert Thayenthal, Autor des "Bergdoktors", definiert das so: "Im Fernsehen geht es nicht um die üblichen Kriterien von Kunst: um Ausbrechen, Experimentieren, Infragestellen von Werten. All das wäre der Tod eines Fernsehautors. Ohne aber damit zu spielen, wäre es langweilig." 2

Österreichs Produzenten klagen darüber, daß unsere Autoren keine Stoffe für das junge Publikum schreiben können. Wie sollen sie auch können, wenn sie längst von Redakteuren "umerzogen" worden sind? Redakteure, die nach besten Mühen und Bemühen das "Produkt" (wie sie es so gerne nennen) von allen Tabus freigeglättet haben, freuen sich auch noch, wenn sie eine Quote von einer Million erreicht haben, fragen aber nicht, wie es dem Publikum gefallen hat. Dies ist genauso kurzsichtig, wie wenn sich der österreichische Fußballbund darüber freut, wenn die Nationalmannschaft vor ausverkauftem Stadion gegen die Färöer-Inseln verliert.

Vielleicht wollen Österreichs Drehbuchautoren nichts mit den popcornfressenden Horden, die sich im Kino sinkende Schiffe ansehen, zu tun haben, die Produzenten wollen es aber sehr wohl. Wenn die Produzenten also Filme nicht wollen, die wir Autoren schreiben, liegt ein Interessenskonflikt vor, der viel weiter reicht, als man glauben möchte: durch das Fehlen der einprägsamen Filme fehlt in Österreich fast gänzlich ein Starsystem, das die Leute erst in die Kinos bringt. Deutschland hat innerhalb weniger Jahre "echte" Stars wie Til Schweiger, Franka Potente, Moritz Bleibtreu oder Katja Riemann hervorgebracht und gezeigt, daß der kommerzielle deutsche Film nicht – wie in den Jahrzehnten davor – zwingend blöd sein muß.

 

Schreiben und Bügeln

Wie hat sich nun ein Autor, der für das Fernsehen schreibt und sich selbst noch ernst nehmen will, zu verhalten? Er muß versuchen, so zu schreiben, als sei das

Fernsehen das bessere Kino. Die Nische finden zwischen Teenager-Geschmack und hochgeistigen Bildungsbürgern, die auch noch um 23.30 Uhr der TV-Diskussion von Physikern über Teilchenbeschleuniger folgen. Der Autor muß, und das klingt vielleicht ein wenig altbacken, den Fernsehfilm für das Volk schreiben – und zwar ohne dieses und sich selbst zu verblöden.

Im Grunde sei allen Autoren, vor allem den männlichen, empfohlen, das Bügeln zu erlernen. Denn nur wer bügeln kann, weiß, daß es bei dieser Tätigkeit nahezu unmöglich ist, dem Geschehen auf dem Bildschirm zu folgen. Jedoch verbringt eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Zuschauer(innen), sagen wir 15 bis 20 %, den Fernsehabend in bügelnder Tätigkeit. Wenn wir Autoren bügeln könnten, würden wir wissen, warum Krimis wie "Derrick" atemberaubende Einschaltziffern feierten. Weil in der Reinecker’schen Manier jedes Detail, jeder Dialog, jeder Plot in fast meditativer Weise wiederholt wird, sodaß auch noch die unaufmerksamste Hausfrau dem Geschehen am Bildschirm folgen konnte. Die Klangebene im Fernsehen ist so beschaffen, daß man ihr folgen kann, indem man nicht die ganze Zeit auf den Bildschirm schaut. Filme mit wenig Dialog sind deshalb unbeliebt bei Büglern. Wenn der Dialog aber sparsam und gut ist, wird man doch ab und zu einen Blick auf die Mattscheibe riskieren und im besten Fall das Bügeleisen für eine Weile zur Seite stellen.
Ich plädiere dafür zu bügeln, dann zu überlegen und schließlich so etwas Aufregendes schreiben, sodaß jedes Bügeln unmöglich wird. Wenn wir diesen Fernsehfilm geschrieben haben und Vatis Hemd brennt dabei an, haben wir gewonnen.

 Fußnoten:

1 Media Perspektiven 3/1997, S.450-458. Neuere Untersuchungen zeigen, daß die Zahl der Teenager wieder sinkt (was auch auf den "Pillenknick" zurückzuführen sein könnte), und die Zahl der über 30jährigen wieder steigt. Der ebenfalls neue Anstieg bei den über 40jährigen wird damit begründet, daß viele Eltern oder Großeltern vermehrt mit ihren Kindern ins Kino gehen. Der König der Löwen war z.B. der erfolgreichste Film bei den über 40jährigen.
2   Robert Thayenthal: Kunst und Brot – ein Widerspruch? Der Drehbuchautor zwischen Quantitäts- und Qualitätsanspruch. In: In: Sabine Perthold [Hg.], Der gebrauchte Autor, Drehbuchforum Wien 1997, S.70

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