ZUSAMMENARBEIT
MIT ANDEREN AUTOREN
Film ist in seiner Herstellung ein
kollektives Business. Ein guter Regisseur ist ohne einen guten Kameramann
verloren, ein guter Schauspieler nützt nichts, wenn der Regisseur
eine Niete ist. Isoliert von diesem Klima der Zusammenarbeit ist
die monate- oder jahrelange Entstehung eines Drehbuchs. Um dem abzuhelfen,
hat uns Hollywood gezeigt, daß ganze Autorenteams an Filmen arbeiten,
nicht immer freiwillig, denn wenn einer versagt, und sei es auch
der Urheber der Idee oder der Geschichte, er augenblicklich ausgewechselt
wird. In diesem Kapitel soll allerdings von freiwilligen Kollaborationen
die Rede sein. Diese werden gewählt, weil man meint, zwei oder mehrere
Hirne machen mehr aus, ein Autor könnte eine fehlende Eigenschaft
des anderen ergänzen und umgekehrt. Kollaborationen beim Drehbuch
sind mindestens ebenso häufig wie singuläre Skripts. Oft schreibt
der Regisseur mit, manchmal auch ein Redakteur, in guten Fällen
zwei befreundete Autoren.
Während es beim Film häufig zu Zusammenarbeit verschiedener Autoren
kommt, finden wir diese nicht bei Romanen, auch nicht bei Kurzgeschichten,
in der Lyrik schon gar nicht. Es gibt wohl kaum ein episches Werk
von Bedeutung, daß von zwei Autoren geschrieben wurde. Etwas häufiger
trifft man Co-Autoren beim Theater an. "Glaube Liebe Hoffnung"
von Ödon von Horváth entstand zum Beispiel in der Zusammenarbeit
mit dem Münchner Gerichtssaalberichterstatter Lukas Kristl. Diesen
interessierte die Thematik des Justizirrtums und er erzählte Horvath
von einem Fall einer Korsettenvertreterin, die zur Erlangung eines
Kredits den falschen Beruf ihres Vaters angab, worauf sie wegen
vorsätzlichen Betrugs zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt
wurde. Während Kristl darin ein Drama über die rigorose Bestrafung
bei Bagatelldelikten sah, lag Horváth in seinem Stück daran, den
Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zu zeigen. Freilich,
man könnte Kristl eher als Konsulent, denn als Co-Autor sehen, dennoch
mußte sich Horvath während des sechsmonatigen Arbeitsprozesses derart
viel Wissen aus der Gerichtspraxis angeeignet haben, daß er schließlich
Kristl als Mit-Urheber des Werkes anführen ließ.1
Eine Antwort, warum es in der Prosa so gut wie nie, in den dramatischen
Künsten dafür umso öfter Zusammenarbeit zwischen Autoren gibt, liegt
oft daran, daß eine Person die größere dramatische Erfahrung als
der zweite hat. Das kann ein Schauspieler oder ein Regisseur sein,
oder eben wie Horváth ein begnadeter Dramatiker. Junge Autoren werden
nur selten allein gelassen mit ihrem Drehbuch. Redakteure bereiten
mit vor, Regisseure schreiben mit. Die Begründung: wir haben die
Erfahrung. Aber das passiert schon wieder unfreiwillig. Viel schöner,
wenn ein Autor erkennt, was der andere hat, das einem selbst fehlt,
oder, wenn sich beide nur "Stöckchen" zuwerfen brauchen,
um zu guten Einfällen zu kommen. So muß es wohl zwischen Billy Wilder
und seinem Co-Autor I.A.L. Diamond zugegangen sein: "Iz und
ich ähnelten zwei Bankangestellten.", erzählt Billy Wilder,
"wir öffneten den Laden um halb zehn, wechselten dann ein kurzes
Morgen. (...) Manchmal küßten uns die Musen und wir
schrieben 10-12 Seiten am Tag. Iz an der Schreibmaschine und ich
mit dem Notizblock. Es gab keinen Zwang, keine Verrisse, wir brüllten
uns nicht an. Wir wurden auch nicht ekstatisch, wenn mal einer eine
gute Idee hatte. Warum nicht? war das höchste Lob, das
man von Iz bekommen konnte", und Wilder weist auch darauf hin,
daß zwei Köpfe sich auch ordentlich irren können: "In der letzten
Szene von Some like it hot will Lemmon Joe Brown überzeugen,
daß er ihn nicht heiraten kann. Als wir an der Szene arbeiteten,
fehlte uns ein witziger Schlußsatz. Iz ist dann eingefallen: Nobody
is perfect!. Wir waren nicht gerade begeistert, aber es war
schon spät am Abend und wir haben es so ins Drehbuch geschrieben.
Wir dachten: Bis zu den Dreharbeiten fällt uns noch etwas Lustigeres
ein."2 Das tat es nicht und der Schlußsatz
ist mittlerweile legendär.
Etwas anders muß man sich die Zusammenarbeit
zwischen Luis Buñuel und seinem Drehbuchautor Jean-Claude Carrière
vorstellen. Das Schlüsselwort lautete hierbei Meditation. Diese
wurde über Barbesuche und Alkoholkonsum erreicht, besonders in Verbindung
mit einem Aperitif, der bereits im Kapitel "Stimulantia"
beschrieben wurde. Buñuel zog sich oft am Abend in eine Bar zurück,
wo ihn Carrière eine Dreiviertelstunde allein ließ. Buñuel ließ
in dieser Zeit die Imagination schweifen und hatte nach abgelaufener
Zeit (45 Minuten) so war es ausgemacht dem Co-Autor
eine Geschichte zu erzählen. Diese mußte nichts mit dem Drehbuch,
an dem die beiden tagsüber arbeiteten, zu tun haben, wenn aber doch,
versuchten sie im anschließenden Gespräch Ordnung in die Gedanken
zu bringen und sie mit dem Filmkontext zu verbinden. Buñuel spricht
in seinen Memoiren von den Bars des Madrider Plaza oder des Hotel
del Paular als Stätten ergiebigster Kontemplation. Mit Jean-Claude
Carrière zog er sich während der Arbeit aber auch ins Kloster von
El Paular zurück. Fast täglich um fünf, um zu meditieren. Nach ein
paar Minuten Schweigen wurde weitergearbeitet, oder der Prior des
Klosters lud die beiden auf einen Schnaps ein.3
Die ideale Kombination von Autoren scheint also immer noch die zu
sein, daß bei beiden Klarheit über die dramatische Disposition vorherrscht,
wobei es nicht schadet, wenn sich einer besonders auf die Story-Konstruktion
und der andere gut auf Dialoge versteht. Nach diesem Grundprinzip
gehen heute auch Produktionen vor, die in Stoffe und Autoren investieren.
Nicht umsonst findet sich in den Development Departments inzwischen
der größte Personalanteil amerikanischer Produktionsfirmen.
Die
gesunde Streitkultur...
... ist natürlich ein notwendiges Attribut,
wenn sich ein Autor mit einem anderen einläßt. Garson Kanin, der
mit seiner Frau Ruth Gordon die Komödien für Spencer Tracy und Katherine
Hepburn schrieb, erzählte, daß er sich im Privatleben nie mit seiner
Frau stritt, während er beim Drehbuchschreiben immer mit ihr stritt.4
Nach 15 Jahren Ehe und ungefähr ebenso vielen gemeinsamen Drehbüchern
wurde die Ehe geschieden.
Um Stoffe streiten, ohne den anderen
herabzuwürdigen, ist oft ein Hochseilakt, für den man mehr Energie
aufwenden muß, als wenn man alleine an seinem Schreibtisch sitzt.
Kämpfe um Ideen sind gut, nur vor Kompromissen sollte man sich in
acht nehmen. Statt einer schlechten Variante, eine halbschlechte
zu wählen, bringt meist gar nichts. Andererseits können Selbstzweifel,
die einen allein schreibenden Autor in seiner Einsamkeit das letzte
Lebenslicht nehmen, von einem begeisterten Partner sekundenschnell
ausgeräumt werden. E-mail und Internet bringen natürlich neue Möglichkeiten.
Ich zweifle aber ein wenig an der Machbarkeit eines Drehbuchs, ohne
sich jemals persönlich treffen zu können. Man kann zwar endlich
man mit jemanden in Neuseeland ein Drehbuch schreiben, zum streiten
wird man aber vielleicht nicht kommen. Doch die strukturelle Fragen,
denen man sich Auge in Auge zu stellen hat, sind die wichtigsten
bei der Zusammenarbeit. Diese Fragen entzünden Kämpfe, die verbal
ungleich interessanter sind und auch schneller ausgeräumt werden
können, bevor man sich beim Hin- und Herschreiben in Mißverständnissen
verliert. Freilich, wenn es um Szenen und Dialoge geht, kann man
sich das über e-mail (oder in früherer Zeit über Fax oder Brieftaube)
wunderbar aufteilen.
Oft befruchten sich gerade die unterschiedlichsten
Charaktere gegenseitig. Es gibt aber tatsächlich Partnerschaften
von Filmautoren, die man sich nur schwer vorstellen kann. Haben
Sie zum Beispiel gewußt, daß Pier Paolo Pasolini zusammen mit dem
nicht minder umstrittenen Luis Trenker ein Drehbuch geschrieben
hat? Ist aber wirklich passiert. Flucht in die Dolomiten heißt
der deutsch-italienische Bergfilm aus dem Jahre 1956 unter Trenkers
Regie. Mit dabei in der schreibenden Seilschaft: der italienische
Schriftsteller und Herausgeber Giorgio Bassani.5
Im
Story-Department einer Daily Soap
Sieht man sich die Writing Credits
amerikanischer Soap Operas und Sitcoms an, trifft man auf eine Unmenge,
oft zehn bis zwanzig Autoren, die am Drehbuch beteiligt sind. Daß
der Head Writer, also der Schriftführer (um es ganz deutsch zu nennen)
gleichzeitig der Producer der Serie ist, versteht sich in Amerikas
TV-Welt von selbst.
Mehr und mehr versuchen nun auch deutsche
Sender, und seit ganz kurzer Zeit auch der ORF, Autorenteams auf
Daily Soaps anzusetzen. Wer gehässig ist, vermutet dort einen Haufen
von Autoren und Autorinnen, die sich Tag für Tag zusammenrotten,
um sich mit großer Freude zu überlegen, wer heute in den Selbstmord
getrieben oder morgen auf tragische Weise hingemetzelt wird, nur
weil er in der Gunst der Zuschauer gesunken ist. Tatsache ist: Geschrieben
wird ohne Unterlaß. "Im Storydepartment einer Daily Woche entstehen
jede Woche die Geschichten für 125 Minuten Film - das ist mehr als
für einen abendfüllenden Spielfilm", sagt Markus Stromiedel,
der unter anderem Chefdramaturg des Development-Departements der
Bavaria-Film war.6
Wie sieht nun dieses Chaos aus, dem
sich ein Dutzend oder mehr schreibende Menschen ausliefern? Der
Head Writer, der durch seinen direkten Kontakt mit der Produktion
sich eher an Quoten und ökonomischer Machbarkeit orientiert, hat
unter sich ein Team von Storylinern, Outlinern, Dialogbuchschreibern
und Autoren vom Dienst.
Hierunter finden sich also ganz neue
Nischen für den Drehbuchautor, oder wiederum boshaft
für den "Lohnschreiber", wiewohl alle, die einmal unter
solchen Bedingungen gearbeitet haben, sagen, daß dies eine der wertvollsten
Erfahrungen im Erzählen von Geschichten war. Die Storyliner entwickeln
lineare Handlungsstränge, die in A-, B-, C- und D-Geschichten eingeteilt
werden. Wenn die Folgenprofile gefunden sind, werden die Geschichten
zur schriftlichen Fixierung auf die einzelnen Storyliner verteilt.
Sind die Storylines von der Produktion verabschiedet, gehen sie
an die Outliner. Deren Aufgabe ist es, die Geschichten zu verzahnen
und auf der Basis der gelieferten Vorgaben Treatments für ein 25
Minuten-Format zu schreiben.
Die Dialogbuchautoren wiederum bekommen
die verabschiedeten Treatments als Vorlage. Sie sitzen freiberuflich
alleine am heimischen Computer und machen aus dem Treatment ein
drehfertiges Buch. Und schließlich gibt es noch den Autor vom Dienst.
Er protokolliert die Änderungen am Set und schreibt die Serien-Bibel
weiter. Die "Bibel" enthält alle Handlungsdetails und
Figureneigenschaften der bisherigen Folgen und soll nachkommenden
Autoren den Einstieg erleichtern.7
Man kann sich Story-Konferenzen mit
zehn oder gar zwanzig Schreibern also mehr als zermürbend vorstellen.
Vor allem, wenn es oft weniger um gute Ideen, als um Quoten oder
eingeschränkte Produktionsbedingungen geht. Warum es Autoren gibt,
die sich trotzdem immer wieder für diese billig produzierten Geschichten
zusammenpferchen
lassen, liegt wohl an den Honoraren: Storyliner-Gagen
bewegen sich zwischen 8.000 und 12.000 DM im Monat. Outliner und
Dialogautoren werden pro Entwurf bzw. Buch bezahlt. Das Honorar
für eine outline liegt zwischen 1.500 und 2.000 DM, für ein Dialogbuch
zwischen 2.500 und 7.000 DM.8 Das klingt gut,
rechnet man aber auf, was man in Deutschland für ein 90-Minuten-Buch
- also die Länge von knapp drei Daily Soap-Folgen - bekommt, ist
es wiederum wenig. Aber auch das ist relativ: arbeitet man an einer
erfolgreichen Soap wie der "Lindenstraße", hat man gute
Chancen, dabei alt zu werden.
Fußnoten:
1 In: Fetz,
Bernhard und Kastberger, Klaus [Hg.]: Der literarische Einfall.
Über das Entstehen von Texten. Zsolnay Verlag, Wien 1998, S.64
2 Billy,
how did you do it", TV-Interview mit Billy Wilder, geführt
von Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek, Teil IV
3 Luis Buñuel:
Mein letzter Seufzer: Erinnerungen. Königsstein 1983 (Taschenbuch:
Frankfurt/M., Berlin 1994), S.35 & S.123
4 Interview with
Garson Kanin. In: Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 2, Interviews
with Screenwriters of the 1940s and 1950s, Berkely 1991, pg. 97
5 Reclams
deutsches Filmlexikon, hg.von Herbert Holba, Stuttgart 1984, S.380
6 Markus
Stromiedel: Im Story Department einer Daily Soap, VDD Broschüre
1999, Berufsbild Drehbuchautor
7 Interview mit Marie Reiners, In: Daniela Holzer: Die deutsche
Sitcom, Bergisch Gladbach 1999
8 Dorothea Neukirchen:Vom Script Editor und anderen neuen Berufsbildern
beim Drehbuchschreiben, VDD Nachrichtenbrief 1/96
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