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Ankunft
in Tana
Die
Fahrt vom Flughafen in die Stadt dauert etwa 30 Minuten, Madagaskar
hinterlässt in dieser halben Stunde nicht unbedingt das einladendste
Bild.
Mein
erster Eindruck: Es riecht nach Indien; dieser Duft, den man
nur in den ersten zwei Tagen riecht, hat etwas Feuchtes und
Schweres, wie Wäsche, die lange in einem Fluss gelegen ist.
Nach kurzer Zeit ist der Duft verschwunden, nicht zuletzt,
weil man schon selbst danach riecht.
Schon
in der Vorstadt nahe des Flughafens Ivato sticht die Einfachheit
und Armut der Madegassen ins Auge. Viele Menschen in Lumpen,
die bei vielen tagaus, tagein über Jahre hinweg auf der immergleichen
Haut kleben, barfuß gehen sie auf der Straße, die meist mit
Löchern und Schlamm durchsetzt ist. Dazwischen die typischen,
schmalen Lehmhäuser mit ihren kleinen Fenstern und meist einen
Viertelmeter über dem Boden beginnenden Türen. Auf der Straße
Menschen, die schwere Lasten auf Rücken, Schultern oder am
Kopf tragen, Karren ziehen oder Ochsen führen.
Wellblechhütten
wie in allen anderen Slums dieser Welt; aber etwas weniger,
meist beherbergen sie kleine Verkaufsstände an der Straße,
wo ungeschützt vom Staub der Autos Obst, Gemüse und Fleisch
dargeboten werden. Spürbar, aber nur ganz leicht, dass Vasco
da Gama und Konsorten auch hierher das Coca-Cola gebracht haben.
Schon
beim Anblick der nicht einladenden Obst- und Gemüsestände oder
auch der von Fliegen umschwirrten Fleischerhaken, die wir bei
unserer Fahrt durch die Vorstadt sehen, ruft S. aus: "Mein
Gott, was werden wir da essen?!"
Vorbei
an abgeernteten Reisfeldern, die trübe vor den Häusern auf
dem ansteigenden Hügel der Stadt liegen. Unser Begleiter William,
der uns am Flughafen angesprochen hat und jetzt mit uns im
Taxi sitzt, erklärt uns, dass die Ernte heuer wegen Sturm und
Regen mehr oder weniger ausgefallen ist, der Reis - Hauptnahrungsmittel
der Madegassen - aus Asien eingeführt werden muss.
Bevor
der Hügel ansteigt, geht es noch eine langgezogene Straße entlang,
auf der wiederum reges Treiben herrscht: schwitzende Männer,
die mit nackten Oberkörpern schwere Lasten transportieren,
zwischendrin eine Blaskapelle, die wild drauflos spielt - eine
von fünf vorbeiziehenden Hochzeiten, die wir beobachten. Geheiratet
wird also auch hier am Samstag.
Ein
kurzer Ausflug auf die nahe Avenue de lIndependence bestätigt
die Ähnlichkeit, die ich mit Indien empfinde: Behinderte Bettler
strecken einem ihre verkrüppelten Gliedmaßen entgegen, bettelnde
Kinder folgen auf Schritt und Tritt und lassen sich nur durch
S.s Kräuterzuckerln abschütteln. In den Geschäften am zentralen
Platz zwischen Bahnhof und Oberstadt, dem etwas ausgesprochen
Kleinstädtisches anhaftet, werden unmögliche Dinge verkauft,
Fernseher zum Beispiel, die in Europa wohl schon vor 15 Jahren
nicht mehr dem Standard entsprochen hätten, hier aber im besten
Elektro-Laden des Landes ausgestellt werden.
Am
Nachmittag bin ich kurz alleine unterwegs; am Bahnhof, wo ich
erfahre, dass der Zug nach Antsirabe nicht fährt, weil alle
drei Lokomotiven der Hauptstadt kaputt seien. Das Innere des
kolonialen Bahnhofs, der das hübscheste Gebäude ist, das ich
bislang zu Gesicht bekommen habe, ist vollkommen leer.
Ebenso leer sind die Straßen, als ich am frühen Abend unser Quartier verlasse.
Das Fehlen der sich tummelnden Menschen der Stunden zuvor verbreitet ein geisterhaftes
Gefühl. Der Wind streicht kalt über den Platz und ich suche das Restaurant "Le
Grand Orient", das ich schon am Nachmittag gesehen habe. Ich speise dort
ein Zebu-Steak, das denkbar schlecht zubereitet ist. Das dunkle Innere des
Restaurants erinnert in seiner Atmosphäre an heimelige Hütten in tief verschneiten
Winterlandschaften. Und wie in einer
(Schutz-)hütte flüstern die Gäste beim Essen, das Licht ist gedämpft und zwei
Musiker
an Klavier und Bass spielen traurige Melodien, selbst "La Vie en Rose" wird
mit unnachahmlicher Tristesse dargeboten.
Begleitet
von einer Bettlerin mit Kind und einer Hure gehe ich heimwärts
zum Hotel. |