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Tulear – in den Ruinen der Modernität

Beinahe im Expresstempo kommen wir von Ranohira nach Tulear. Anders als sonst, nämlich anstatt stundenlangen Wartens, erreichen wir diesmal mit Glück einen Bus, auf den wir nur fünf Minuten warten brauchen und der uns dann tatsächlich in die ferne Hafenstadt fährt.

Die letzte Etappe der über 1000 Kilometer langen „Route du Sud“ führt uns entlang des Isalo-Gebirges, dessen Ausläufer nun nicht mehr Grasland sind, sondern ein ganz und gar ausgebranntes, ödes Land mit Sand, wo – bizarr anzusehen – einzelne Palmen (Bismarckia nobilis) gediehen. Wüstenhaft war dann die Landschaft um Sakaraha, wo wir zur Mittagszeit haltmachen und zum ersten Mal die am Straßenrand gegrillten Fleischspieße versuchten. Lohnend. Dann geht es weiter durch das Dornenland des Südens. Hier ist es doch schade, dass wir nur mit dem Bus durchbrausen und nicht halt für das eine oder andere Foto machen können. Zum einen sind da die weißen, rechteckig angeordneten Friedhöfe der Antandroy mit ihrer bunten Wandbemalung, welche eine nähere Betrachtung verdient hätten, zum anderen die mächtigen, widerstandsfähigen Baobabs, die der Landschaft, weithin sichtbar, Charakter geben.

Tulear bringt erst einmal Ernüchterung. Bei einem ersten Spaziergang traue ich meinen Augen nicht, der Strand, den ich beim Hotel Plazza vorfind, ist eine einzige Kloake, wo Schweine sich fressend über den herumliegenden Müll hermachen, daneben Marschland, und dahinter das Meer, zwar kraftvoll mit den niedrigen, starken Wellen der beginnenden Flut, aber dunkel, fast schwarz, in keinem Fall einladend.

Ich wende mich schnell ab und spaziere eine Weile auf einer mit Palmen gesäumten Strandpromenade, die fast menschenleer ist und wohl schon bessere Zeiten gesehen hat. Der Asphalt dieses, schon zuvor von mir abspazierten Boulevards ist aufgerissen, die Straße in ihrem erbärmlichen Zustand viel zu breit, und man kann förmlich ahnen, wie die Hitzewellen der nächsten Jahre das Pflaster noch mehr aufspringen lassen werden und die Natur sich in die Ruinen der Modernität zurückfressen wird.

Ich biege in eine Seitengasse ab und bin bald im Zentrum von Tulear angelangt. Das Wechseln in der Bank dauert unendlich lange und verstärkt meinen Eindruck, dass im Süden von Madagaskar alles noch länger dauert, dass die Mühlen der Bürokratie noch träger und langsamer mahlen als im nördlicheren Hochland.

Architektonisch ist an Tulear kein Mittelpunkt festzustellen, außer vielleicht der kleine schattige, von Bäumen gesäumte Platz vor der Bank BNI-Crédit Lyonnais. Hier finden sich die Leute ein, um sich zu treffen, der Szenerie haftet ein Hauch einer süditalienischen Piazza an. Die Gebäude ringsumher in kolonialem Stil mit kleinen Geschäften in den Arkaden sind aber hilflos dem Staub der Straße und deren Ziellosigkeit ausgeliefert. Ruhe einflößend nur die Frauen an den Nähmaschinen, an Säulen gelehnt sitzen sie im Schatten, bunte Stoffe über ihren Beinen, darüber im Mittelpunkt auf einem kleinen Tischlein die alte, englische Nähmaschine.
Das eigentliche Herz Tulears ist dessen Markt und das bunte Treiben, das rund um ihn herrscht. Wenn man weiß wie trocken dieser Landesteil über weite Teile des Jahres ist, überrascht es umso mehr, wie vielfältig das Angebot auf dem Markt ist. Nicht nur Bananen, Orangen und Maniok, wie überall im Hochland, sondern auch Ananas, Papaya, Goaven, bis hin zu Avocados und so landwirtschaftlichen Klassikern wie Salat, Tomaten und Radieschen finde ich hier. Zum ersten Mal nach Tana.

Der Menschenschlag hier unterscheidet sich deutlich vom südostasiatischen Einschlag des Hochlands. Südostafrikanischer Einfluss ist unverkennbar und auch vom Temperament sind die Menschen lauter und bunter als im zentralen Landesteil.

Zurück in unserem Quartier, bei „Chez Alain“ erleben wir den Auftritt einer lautstarken, tanzenden Folklore-Gruppe mit Trommeln, Speeren und ähnlichem, vor allem mit der hier weit verbreiteten Fidel Lokanga. Allesamt haben sie ihr bestes Hemd angezogen, nämlich keines. Die Nacht ist aufgrund gröhlender Betrunkener und stundenlang bellender Hunde sowie krähender Hähne nicht besonders erholsam.

Am nächsten Tag besuchen wir das Musée Maritime. Es dauert einige Zeit, bis wir es finden. Nachdem wir im Sperrgebiet der Raffinerie herumgeirrt sind und nur das Gebäude des „Fischministeriums“ (Ministère de Poisson) gefunden haben, bedarf es einiger Fragerei, bis wir schließlich vor der Université Maritime stehen und ein freundlich lächelnder Herr jenes Gebäude aufsperrt, vor dem das riesige Skelett eines Wals thront. Scheinbar sind Besucher selten. Mit zurückhaltender Begeisterung führt uns der Mann durch die Räumlichkeiten, an denen sich ein morsches Regal an das andere reiht, allesamt mit der Last hunderter Einmachgläser. Diese sind mit allen Fischen, Schalentieren, Muscheln, Seesternen, Seegurken und allen anderen Meerestieren angefüllt, die vor den Küsten Madagaskars zu finden sind. Oder besser gesagt waren. Denn das Museum wurde Anfang der 60er-Jahre gegründet und wurde seither wohl auch nicht mehr erneuert. So haben viele der Fische seit 35 und mehr Jahren ihr Schicksal im Formaldehyd gefunden, und die Rexgläser sind nicht immer dicht. S. wagt einmal, eines mit einem Fisch mit tödlichem Gift anzugreifen, und riecht noch Stunden später bestialisch nach Fisch. Auch Waschen hilft nichts. Der Höhepunkt des Museums ist sicherlich der erst 1938 vor der Nordküste entdeckte Quastenflosser. Dieser hat sich seit 360 Millionen Jahren nicht verändert, die Evolution ging spurlos an ihm vorüber. So hat er immer noch vier Flossen und eine beschuppte Haut, die an Reptilien erinnert. Da er auch neben den Kiemen über zwei Lungen verfügt, gilt er als einer der Vorfahren jener Reptilienfamilie, die vom Wasser aufs Land ging und aus deren weiterer Entwicklung der Mensch hervorging.

Darben in Ifaty

Ifaty, der Ort, der uns von allen möglichen Menschen angepriesen wurde und dessen Besuch Glück, Heimat und Heil verhieß, ist unser nächstes Ziel. Es sei hier gleich gesagt, nichts von alledem ist in Ifaty zu finden. Schon die Anreise ist eine Tortur. Ein Lkw wird mithilfe einiger Sitzbänke zu einem Taxi-Brousse umgewandelt, dieser schaukelt uns die knapp 25 Kilometer mit zahlreichen Zwischenstopps in über zwei Stunden ans Ziel. Nicht nur, dass es eng und unbequem ist, wollen die überaus unfreundlichen Fahrgäste auch keinen Zentimeter Platz machen. Zudem besteht die Strecke aus wilder Sandpiste, wo wohl Generationen von Wanderdünen wahre Wettläufe bestritten haben mussten. Als wird dann das Zentrum von Ifaty erreichen, können wir kaum glauben, hier richtig zu sein. In uns war die Vorstellung eines klassischen Badeorts gewesen, aber was wir vorfinden, sind in der Mittagshitze vor sich hin darbende Menschen in Armut, um nicht von Elend zu sprechen.

Schließlich gehen wir an den Strand, das Meer ruht in Ebbe vor uns, und wir lassen uns im Halbschatten einiger Kokospalmen nieder. Nach einiger Zeit bricht kilometerweit vor uns das Meer immer stärker an ein Riff, das erst zu einer anderen Jahreszeit zum Tauchen geeignet ist. Je näher die Flut an die Küste kommt, umso mehr Fischer kehren an den Strand zurück, bringen ihre Einbäume, teilweise mit Segeln besetzt, und die Fänge des Tages ans Ufer. Wenig später kommen zwei kleine Mädchen zu uns, beide wohl kaum älter als acht Jahre und wollen uns unbedingt Muschelketten verkaufen. Wir sind von diesen wenig begeistert und sagen, wir seien zu arm, um sie zu kaufen. Natürlich glauben sie uns nicht und unterhalten sich bestens an unseren Ausreden, z. B. dass wir jetzt von Moçambique hergeschwommen seien und so lange unter der Kokospalme warteten, bis eine Nuss heruntergefallen komme, die wir sie essen könnten. Nach und nach fassen sie immer mehr Vertrauen, berühren und umarmen uns und sind dann, obwohl wir nichts gekauft haben, doch ein wenig traurig, als wir gehen.

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