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Die Rufe des Indri ...

 ... hören wir gleich nach unserer Ankunft in Andasibe im Bungalowhotel "Feon 'y Ala" im Périnet Nationalpark. Zu sehen ist freilich nur der tiefgrüne Regenwald, über dem der typische Nebel hängt, welcher feinen, kaum spürbaren Nieselregen auf die dankbare Pflanzenwelt herniedersprüht.

Wir genießen vorerst die Infrastruktur gegenüber dieser Wildheit. Während meine Wäsche gewaschen wird, lasse ich mich auf der gemütlichen Terrasse des Restaurants bei einem Tee nieder. Davor der mit Seerosen bedeckte Fluss, der – für den Regen empfänglich – ruhige, kleine Kreise formt. Die lauten Rufe des Indri aus dem Urwald, einmal näher, dann wieder entfernter, haben etwas eigentümlich Schimärenhaftes an sich. Zum einen möchte man an das Geschrei von Kindern glauben, zum anderen erinnert es an das Gejammer von Katzen.

Am nächsten Tag wollen wir uns ein echtes Bild vom Indri machen, obwohl diese Unternehmung von Anfang mit Schwierigkeiten verbunden ist. Am Eingang des Nationalparks finden wir keine Gelegenheit vor, Proviant für die vierstündige Wanderung einzukaufen. Diese würde sich nur im zwei Kilometer entfernten Dorf, in Andasibe, bieten. Ich finde eine Mitfahrgelegenheit mit einem jungen Mann auf einem Motorrad, das sein ganzer Stolz zu sein scheint. Leider stirbt das gute Stück auf den ersten 500 Metern bereits zehnmal ab, sodass ich zu Fuß wohl schneller gewesen wäre. Das Dorf macht einen ärmlicheren Eindruck als erwartet. Das einzige Haus, das aus Ziegeln gebaut scheint, ist das im Kolonialstil erbaute "Hôtel de la Gare" am Bahnhof, das wohl schon bessere Zeiten gesehen hat. Tiefe Pfützen und dicker Schlamm überziehen die Hauptstraße, die ins Innere des Dorfes führt, wo es auch einige Verkaufsstände gibt. Wie anderswo auch gibt es nichts anderes als Bananen, Tomaten und Maniok. So kaufe ich zum hundertsten Mal Bananen und finde nicht einmal anständiges, frisches Brot vor, sondern nur eine Dorfbevölkerung, die – wahrscheinlich ob des vielen Regens – ihren Kummer in Rum zu ertränken versucht.

Über diese ganze Unternehmung ist wiederum eine Stunde vergangen, und es ist bereits nach elf Uhr, als wir in den Regenwald aufbrechen. Unser Führer, Armin, gibt sich von Anfang an Mühe, sein (gut gelerntes) Wissen über Pflanzen und Tiere anzubringen. Unserem Interesse für die (bisher noch nicht gesehenen) Chamäleons kommt er sofort entgegen, indem er uns zu einigen Bäumen neben dem Eingang führt, wo anscheinend immer wieder Chamäleons mit Insekten von Menschenhand gefüttert werden. Also beobachten wir ein ruhiges, aber uns mit seinen kreisenden Pupillen stets beobachtendes Chamäleon der Gattung Brevicornis. Keine fünf Minuten später kommt auch schon ein kleiner Bub mit einem weiteren Chamäleon auf einem Steckerl dahergelaufen.

Sehr bald durchwandern wir den Primärwald, wo sich der Führer beeilt, uns all jene Bäume zu erklären, die wir auch schon aus dem Ranomafana-Regenwald kennen, darunter die Cevalonia madagascarensis, den größten und höchsten Baum des Urwalds.
Bald danach kommen wir in das Gebiet, in dem verschiedene Indri-Familien leben. Es kommt uns zugute, dass ein italienisches Forscherteam diese größten aller Lemuren beobachtet, so muss Armin sie nicht lange aufspüren. Von den drei Indris sind zwei sehr gut zu beobachten, auch, weil sie sich eine gute Viertelstunde lang kaum bewegen. Recht bequem sitzen, liegen und hängen sie in Astgabeln und fressen. Indris haben ein schwarz-weißes Fell, sie machen wie Koalas einen gemütlichen Eindruck und sind mit ihren buschigen Ohren nett anzusehen. Erst träge in den Bäumen hängend, beginnen sie plötzlich, welchem Impuls auch immer folgend, von Baum zu Baum zu springen. In den kurzen Pausen des Verweilens können wir sie auch noch näher beobachten und entdecken erst jetzt den dritten Halbaffen, eine Mutter, die ihr Junges auf dem Bauch trägt, von wo der Kleine in seinem frischen, schwarzen Fell neugierig in die Welt schaut.

Nachdem wir den springenden Tieren eine Weile durchs Dickicht gefolgt sind, lassen wir sie in der Gesellschaft der drei Italiener zurück, die, mit Stoppuhr und Fernglas bewaffnet, andauernd Zahlen notieren. Armin, unser Führer, erklärt uns, dass jede Familie in einem eigenen Territorium lebt, dieses nie verlässt, und dort, anders als andere Lemuren, hauptsächlich Blätter zu sich nimmt, nicht weniger als zwei Kilo pro Tag. Genauso wie (manche) Menschen leben die Indris in Einehe, wobei das Weibchen nur alle zwei Jahre ein einziges Junges austragen kann. Die Schwangerschaft dauert sechs Monate; in den ersten drei Monaten nach der Geburt trägt die Mutter das Kind am Bauch, so wie wir es beobachtet hatten, danach auf dem Rücken.
Wie wir später auf einem Hinweisschild lesen, lässt sich der Indri nicht in Gefangenschaft halten. Alle Versuche, ihn – auch durch „künstliche“ Herstellung seines natürlichen Lebensraums – zu halten, schlugen fehl. Er fraß nicht, vermehrte sich nicht, starb. Die einzigen Indris in der Wildnis findet man nur mehr im Regenwald von Périnet.

Nachdem wir den Lebensraum des Indris hinter uns gelassen haben, entdecken wir kurz vor Ende unserer Wanderung erneut Chamäleons. Erst ein besonders großes an einem Flußufer, wo sich auch einige Wildgänse befinden. Schön langsam erntet unser Führer meinen Respekt, denn ich hätte bestenfalls ein braunes Blatt, nicht aber ein Chamäleon auf diesem Baum vermutet. Noch mehr Anerkennung verdient er dann durch das Auffinden der kleinsten Chamäleon-Spezies überhaupt, die nicht einmal eine halbe Fingerlänge kurz ist und wohl kaum breiter als ein Bleistift. Trotz dieser Zierlichkeit hat dieses kleine Tier, samt Kamm am Rücken, alle Merkmale seiner größeren Artgenossen.

Wohltuend die Rückkehr in den gemütlichen Bungalow. Insgesamt haben wir Glück mit dem Wetter gehabt: Während unserer Wanderung hatten wir fast lückenlos blauen Himmel, was zweifelsohne selten ist. Am Abend geht wieder feiner Regen nieder, der, nach den Rufen aus dem Urwald zu schließen, auch dem Indri nicht gefallen dürfte.


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