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Wir wir nicht an den Canal des Pangalanes kamen

Wir wollen an den Canal des Pangalanes. Und eigentlich hätten wir den erstbesten Zug, den wir in Brickaville sahen, nehmen sollen. Menschen laden Gepäck ein, wir hören, dass der Zug am Kanal hält, auf alten, in der k. u. k. Zeit sogar von Österreichern erbauten Schienen, aber nein, wir sind ja erst fünf Minuten in dieser vermaledeiten Stadt und bilden uns ein, hier eine Nacht bleiben zu wollen.

Die Anreise ist auch anstrengend genug gewesen: Ein Einwohner von Moramanga, dessen Habitus äußerst weltmännisch ist, und der – von der Hautfarbe einmal abgesehen – genauso gut nach Leoben passen würde, vermittelt uns eine Mitfahrgelegenheit. Er selbst will nach Tamatave, also in die gleiche Richtung. Er hält einen Laster, noch dazu einen Tankwagen, an, und handelt geschäftstüchtig und weltmännisch für sich und für uns einen Fahrpreis aus – nicht gerade zu unserem Vorteil. Wir zahlen 15.000 FMG pro Kopf, er nur 3.000, obwohl er doch das Doppelte unserer Strecke fährt. Noch viel schlimmer ist allerdings die Tatsache, dass er unaufhörlich mit dem Fahrer plappert, einem jungen, unerfahrenen Spund, der alles andere als gut fahren gelernt hat. Vor allem blickt er nicht auf die Straße, was bei einem Tankwagen doch recht heiß werden kann. Viel zu spät und meistens zu schnell lenkt er in die Kurven ein und sorgt so dafür, dass uns kotzübel wird. Wie von Sinnen rast er durch die geschäftigen Dörfer, mäht eine Henne nieder, streift einen Hund und verfehlt die zur Seite springenden Menschen nur knapp.

Die Fahrt führt uns erst wieder am Regenwald von Périnet vorbei und dann durch eine weite Hügellandschaft, die eine offene Fernsicht zulässt. Aufgrund der vielen kahlen Stellen und dem recht unterschiedlichen Bewuchs des Bodens erkenne ich, dass hier der Regenwald gerodet wurde. Da dies fast auf die gesamte Strecke, die wir zurücklegen, zutrifft, wird mir allmählich die Tragik bewusst, dass hier hunderttausende Hektar Primärwald geschlagen wurden. Die Ausbeutung von Edelhölzern, vor allem Palisander, ist zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Madagaskars geworden. Und bei heimlichen Blicken in das Innere der ärmlichen Hütten der Landbevölkerung ist mir schon aufgefallen, dass diese durchaus mit Möbeln aus bestem Regenwaldholz ausgestattet sind, vor allem die Betten sind reich und kunstvoll verziert.

Wo der schützende Wald fehlt, gehen Erdrutsche auf Straßen und Dörfer nieder. Nicht nur einmal sehen wir große Stein- und Felsbrocken auf der Straße liegen. Zur Küste hin wird die Landschaft tropischer, die Palmen und Ravenalas zahlreicher, und das Gebiet der dichten, hohen Zuckerrohrfelder beginnt. An einigen umgeknickten Hütten vorbei haben wir unversehens Brickaville erreicht.

Wir mieten uns im einzigen halbwegs stabilen Gebäude der Stadt, dem „Hotel Florida“ ein, das uns durch seinen Wellblech-Charme aber gleich zu einem Spaziergang in die Stadt treibt. In der Stadt gibt es keinen Strom, und so tapsen wir in der Dunkelheit herum und erfahren, dass diese Siedlung alle paar Jahre von Zyklonen heimgesucht und vollkommen zerstört wird, was den Bewohnern nicht viel auszumachen scheint, da die paar Zweige und das Stroh, aus denen ihre Behausungen bestehen, schnell wieder zusammengesucht sind.

Neben der Tatsache, dass uns der Zug, der uns eigentlich zu unserem nächsten Ziel, dem Canal des Pangalanes, bringen sollte, vor der Nase wegfährt, stellen wir auch fest, dass außerhalb unseres Hotels wohl kaum ohne Gefahren für die Gesundheit in dieser Stadt zu speisen ist. Also kehren wir zum Abendessen in die Bude des Hotels zurück. Mit großer Geste, mit der der Besitzer der Behausung diese auch als „Grand Hotel“ bezeichnet, verkündet er uns die Speisekarte: Reis mit Huhn oder Reis mit Rind.
Während des Essens begehe ich den Fehler, einmal zur Decke hochzusehen. Denn auf dem weißgestrichenen Grund ist die ganze Tierwelt Madagaskars abgebildet, überwiegend Geckos und Spinnen, durchaus kunstvoll, bis ich gewahre, dass sich dieses Spektrum bewegt. Rund zwei Dutzend tellergroße Viecher, hauptsächlich Riesenspinnen, die mir in ihren Netzen hängend schon während des Spaziergangs in der Stadt aufgefallen sind, blicken nun auf uns und unser Essen herab. Als eine dieser Spinnen einer anderen über die Wand hinterherhopst, wahrscheinlich um sie zu fressen, frage ich den Hotelbesitzer, ob das Krabbelgetier denn gefährlich sei. Er verneint dies und meint, sie seien wie die Katzen. Bis heute frage ich mich, ob sich dieser rätselhafte Vergleich auf deren ständige Kopulationsbereitschaft oder eher auf ihre Behaarung bezog.
Zweifel an der Integrität dieses Mannes hatte ich bereits am Nachmittag, als wir ihm ein Stück unserer Kokosnuss anbot und er dies mit der Bemerkung ablehnte, dass er es mit der Hüfte habe. Jetzt beginnt er über die Krankheiten der Stadt zu sprechen: Eigenartige Verkürzungen von Armen und Beinen seien bei der Bevölkerung zu beobachten, wovon er Gott sei Dank verschont sei, bis auf den Schüttelfrost, der ihn alle paar Wochen überfällt. So auch gestern Nacht, worauf ihm der Doktor eine heilende Spritze gab. Allmählich begreifen wir, dass wir uns im Zentrum des polio- und malariaverseuchten Gebiets befinden, wiewohl unser Hotelbesitzer die Namen dieser Krankheiten noch nie gehört hat.

Am nächsten Tag wollen wir zum Canal des Pangalanes. Dieser, zu Kolonialzeiten entstandene, 450 Kilometer lange Süßwasserkanal an der Ostküste ist unser Ziel für Bootsfahrten und einen mehrtägigen Aufenthalt. Es ist allerdings keine große Überraschung, als wir in der Früh vernehmen, dass kein Auto zum Canal des Pangalanes fahren würde, nie eines gefahren sei, und dort auch nie im Leben ein Boot sein würde, auf dem wir mitfahren könnten. Zwar frohlockte der Bahnhofsvorstand, dass heute ein Güterzug vorbeikomme, in dessen Lokomotive wir mitfahren könnten. Der Zug halte an einem See am Kanal, wo immer Motorboote seien, die uns schnell zu einem wunderschön gelegenen Hotel bringen würden. Wir sollten nur um zehn Uhr am Bahnhof sein.
Um zehn Uhr stehen etwa fünfzig Menschen mit etwa doppelt so vielen Säcken mit Zuckerrohr, Maniok und Bananen am Bahnhof, aber kein Güterzug. Sie alle wollen ebenso in der Lokomotive mitfahren. Und plötzlich meint der Bahnhofsvorstand, der Zug sei von Moramanga noch gar nicht abgefahren und darum nicht vor etwa 17.30 Uhr zu erwarten. Inzwischen habe ich die Zeitangaben der Madegassen so gut kennengelernt, um zu wissen, dass er nicht in den nächsten 24 Stunden eintreffen würde.
Und so gehen wir wieder auf die Straße und halten ein Taxi-Brousse, einen jener vollgestopften Busse auf, um 30 km weiter nach Norden zu fahren.
Um die Sache abzukürzen: Dort finden wir tatsächlich einen Bootsmann, der uns mit seinem „kanufy“ mitnehmen will. Der Mann ist maßlos dem Zuckerrohrschnaps verfallen und muss nach einiger Diskussion zugeben, dass sein Kanu wohl zu klein für drei Menschen mit Gepäck sei und wir eher von den Krokodilen gefressen werden würden, als jemals in Ankanin’ny Nofy anzukommen. Furchtlos und todesmutig will er das Unternehmen trotzdem wagen, und als ich mit einem unvermuteten Reim abwinke: „Dans l’estomac de crocodile, la vie n’est pas facile“, sieht er mich kurz verdattert an, lacht dann los und verschwindet. Wer weiß, vielleicht wird diese Zeile noch zu einem großen Schlager auf Madagaskar werden.


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