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Stürme
und Stürze
Der
Flug von Tamatave nach Sainte Marie ist zwar bislang mit
30 Minuten der kürzeste, aber auch jener, der mit
dem größten Nervenkitzel und der schlimmsten Übelkeit
verbunden ist. Nicht weniger als dreimal muss der Pilot die
Anflugschneise ansteuern, eine zugegebenermaßen schwierige
Kurve vor der direkt hinter dem Meer beginnenden Landepiste.
Kurz vorm Aufsetzen reißt er die kleine Twin Otter
im letzten Moment wieder hoch,
weil die Landung zu riskant ist. Da sich zwischen Cockpit
und Passagierraum keine Tür
befindet, sondern nur ein sich durch die heftigen Kurven
dauernd bewegender Vorhang, werden wir unfreiwillig Zeugen,
wie der schwitzende und fluchende Flugkapitän heftig
am Steuer rudert, um die Maschine unter Kontrolle zu halten.
Irgendwann landen wir dann doch auf
dem im Reiseführer
als idyllische Palmeninsel beschriebenen Eiland.
Von den verschiedenen Hotelvertretern, die am Flughafen warten,
entscheiden wir uns für jenen des Bungalowhotels
"Le Jardin Tropical". Allerdings entpuppen sich die 38 km,
die
es vom
Flughafen entfernt liegt, als großer Nachteil - für
die Fahrt dorthin benötigen wir auf teilweise fürchterlicher
Straße mehr als zwei Stunden, und in den nächsten
Tagen werden wir noch feststellen, was es heißt, von
der Umwelt abgeschnitten zu sein. Im ersten Augenblick sind
wir allerdings überwältigt, denn die Anlage, auf
gepflegtem, grünem Rasen mit Kokospalmen gebettet,
hat etwas
durchaus Traumhaftes. Die Bungalows, vor einem kleinen Sandstrand
angeordnet, wirken sauber, sind geschmackvoll eingerichtet,
Fußboden und Holzbalken sind aus teurem Palisanderholz
gefertigt.
Wir
bleiben hier fünf Tage, und in der ersten Zeit
ist der Himmel trüb, oft regnet es, nicht selten in
Strömen. Nur einmal, am Nachmittag, klart der Himmel
kurz auf und ich nütze dies für einen kurzen, alleinigen
Spaziergang, da S. im Bett liegt. So stelle ich fest, dass
unsere Anlage zwischen zwei Dörfern liegt, namentlich
Ifotatra und Tsirakalanana. Von Vorteil ist, dass es am Strand
immer etwas zu beobachten gibt, denn zahlreiche Fischer fahren
schon in aller Früh mit ihren Piroggen hinaus und machen
in Ufernähe händisch mit einfachen Angelschnüren
oder Harpunen ihre Fänge. Der Nachteil ist, dass die
Dorfbevölkerung den Sandstrand als WC ansieht, was nicht
nur für üblen Geruch sorgt, sondern in Ufernähe
aufgrund der guten Düngung zu dichten Seegrasteppichen
im Wasser führt. Vielleicht sollte ich hinzufügen,
dass unser Strand als einziger nicht vollgeschissen, sondern
sogar jeden Morgen von einem Angestellten gekehrt wird.
Tags
darauf sind wir in Ambodifototatra, der Inselhauptstadt.
Wir spazieren zum „Friedhof der Piraten“, hinaus
aus dem Ortskern, vorbei an der ältesten Kirche Madagaskars,
die die Franzosen irgendwann in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts erbaut hatten und dann weiter über
jenen schmalen Damm, der zum Hafen führt und jene Lagune
durchschneidet, in der eine grüne Palmeninsel den Seeräubern
einst als Unterschlupf und Versteck diente. Ein kleiner Bub,
nicht älter als sechs Jahre, bietet sich uns als Führer
an. Wir sind schließlich froh, ihn zu haben, denn der
Weg ist schlammig und schwierig, da man auch über weit
verstreute Steine in der Lagune steigen bzw. springen muss,
was uns der Kleine natürlich leichtfüßig
vorführt. Nach einer kleinen Steigung haben wir den
Friedhof endlich erreicht - ein beschaulicher Platz, an dem
hauptsächlich französische Freibeuter begraben
sind. Unser "Führer" nennt uns ihre Namen,
ihre Geburts- und Sterbedaten, obwohl diese noch recht gut
von den Grabsteinen zu lesen sind. „Letzte Ruhe unter
Palmen“ hätte man das ruhige Bild gerader und
geknickter Kreuze nennen können, obwohl die meisten
Bäume dort ironischerweise Ravenalas, also die „Bäume
der Reisenden“, sind.
Danach gehen wir weiter Richtung
Süden, lassen uns
an einem Plätzchen unter Palmen nieder, verlassen dieses
aber auf der Stelle wieder, weil es hier vor Sandflöhen
nur so wimmelt und diese auch nicht davor zurückschrecken,
uns anzuspringen. Abgeschreckt von einigen weiteren nicht
einladenden Plätzen gehen wir schließlich auf
einen Steg, der gute 150 Meter ins Wasser führt. Dieser
ist allerdings ab der Hälfte derart wackelig, dass er
jeden Moment einzustürzen droht. Also lassen wir uns
irgendwo in der Mitte nieder, verharren dort schweigsam und
kommen wegen der anhaltenden Wolkenstimmung mit dem kühlen
Naß, das in Ste.Marie übrigens angenehm warm ist,
nicht in Berührung.
Es
folgt ein recht ereignisloser Tag, an dem S. am Strand
des „Jardin Tropical“ liegt und liest, während
ich den Strand entlang spaziere und das immergleiche Foto
von der immergleichen Kokosnusspalme schieße. Schwimmen
an diesem Strand ist nicht wirklich gut möglich ist,
da es viel zu flach ist, der Boden schlammig und schließlich
seegrasbewachsen ist, und das Gehen wegen vieler Seeigel
unmöglich ist. Nur wenige hundert Meter entfernt ragt
das riesige Knochengerüst eines Buckelwals aus dem Wasser,
der hier erst vor wenigen Tagen tödlich gestrandet sein
dürfte. Immer noch tummeln sich Vogelschwärme über
seinem Kadaver. Wie ich später höre, soll die nur
wenige Kilometer entfernte Ostküste von Sainte Marie
wesentlich besser zum Schwimmen und Tauchen geeignet sein,
die Riffe zugänglicher. Allerdings gibt es dort kaum
Hotels.
Das Wetter auf Ste. Marie ist ausgesprochen
unberechenbar, und so beginnt in der Nacht über dem Meer ein Gewitter,
das zu einem regelrechten Sturm ausartet und mich für
kurze Zeit befürchten lässt, ein Zyklon würde
die ganze Anlage dem Erdboden gleichmachen.
Erst
am dritten Tag unseres Aufenthalts wird das Wetter besser
und wir wollen einen Ausflug an
die Nordspitze der
Insel unternehmen: einmal woanders, im "Cocotereaie", Mittag
essen und anschließend zu den Lavafelsen von Ambodiafafana
gehen. Wir wollen zu Fuß gehen, doch unser Ausflug
dauert nur sehr kurz. Nicht zuletzt weil S. die falschen
Schuhe mithat, nämlich ihre Strandschuhe, Sandalen mit
Stöckeln. Gleich nachdem wir den Strand des zweiten
Dorfes überquert haben und angewidert auf unzählige
Haufen Menschenscheiße stoßen (bei meinem ersten
Ausflug dachte ich noch an Zebu-Haufen), rutscht S. auf einem
glitschigen ... nein, Felsen aus und fällt auf die Nase.
Sie steht anfangs unter Schock und ist auch kurz davor, ohnmächtig
zu werden. Ich erschrecke, als ich die klaffende, blutende
Wunde an ihrem Nasenbein sehe. Nachdem sie sich etwas gefangen
hat, treten wir den Rückweg an, sie humpelt auf mich
gestützt. Als sich noch dazu der Himmel verdunkelt und
Regen auf uns niederprasselt, bekommt die ganze Szene etwas
Bibelhaft-Dramatisches. Zurück im Bungalow versuchen
wir, die Blutung mit Eiswürfeln zu stoppen und die Wunden
zu versorgen. S. hat noch Aufschürfungen am Kinn, zwischen
den Lippen und am Knie erlitten. Ich sehe, dass es nichts
Ernstes ist, und wenn die Kopfschmerzen verschwinden würden,
wäre auch ausgeschlossen, dass sie eine Gehirnerschütterung
davongetragen hatte. Aber die Nase! Die sieht doch etwas
schief aus, sie ist wohl unwiederbringlich gebrochen. „Warum
siehst du mich so an?“, fragt S., die meinen besorgten
Blick bemerkt hat. „Weil ich dich einfach gern
ansehe!“,
sage ich.
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